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Lisa

Unbearbeitete Aufnahme des Interviews (auf Englisch mit einige Deutsch)

Information

Interviewte: Lisa S.

Interviewer: Dr. Alexander Freund

Datum der Sitzung: 28. September 1993

Ort des Interviews: Vancouver, B.C.

Sprache: Englisch und Deutsch

Informationen zum Urheberrecht: Oral History Centre (UWinnipeg)

Lisa (Englisch)Dr. Alexander Freund
00:00 / 1:34:30

Hinweis: In diesem Interview werden sexuelle Übergriffe, Selbstmord, Kannibalismus und kriegsbedingte Gewalt erwähnt.

Das untere bearbeitete Transkript ist eine Übersetzung aus dem englischen Original und es enthält einen Originalauszug in deutscher Sprache.

Teil 1: Die Gründe für das Auswandern und die ersten Schritte in Kanada
Teil 1: Die Gründe für das Auswandern und die ersten Schritte in Kanada
1.1 Das Leben in Europa und die Migrationsentscheidung
1.1 Das Leben in Europa und die Migrationsentscheidung

[00:00:55]

Lisa: Ich kam 1951 nach Kanada. Ich denke, einer der Hauptgründe, warum ich nach Kanada kam, war, dass ich mehr Abenteuer wollte. Wir waren in Deutschland eingesperrt, der Krieg nahm uns die Luft zum Atmen, also dachte ich: „Naja, jetzt würde ich gerne die Welt sehen.“ Und so schrieb ich der Türkei - natürlich hat mich die Türkei nicht aufnehmen wollen, weil ich im Bereich der Elektronik beschäftigt war - wer würde eine Frau aufnehmen, die einen Beruf für Männer ausübt? Ich hatte mich also bei Brasilien und Kanada beworben. Kanada war das erste Land, das antwortete und dann - nein, ich hatte mich bei der Türkei und Brasilien beworben, aber Kanada war damals das erste Land, das seine Grenzen für die Einwanderung öffnete. Früher konntest du nur als Flüchtling [D.P] kommen. Und dann in 1951 öffnete Kanada die Grenzen auch für andere Deutsche.

[...]

Ich bin in Kassel, im schönen Hessen, blender Hessen geboren. Wie auch immer, also habe ich meinen Antrag gestellt, um nach Kanada zu kommen - tatsächlich hatte die Hälfte meines Labors, in dem ich in Deutschland arbeitete, dieselbe Beantragung gestellt - sehr zum Leidwesen unseres Chefs [lacht]-und dann gingen alle, zu dieser Zeit gingen wir alle nach Karlsruhe - ich arbeitete in Stuttgart, und wir gingen nach Karlsruhe zur Einwanderungsbehörde und ich bekam mein Einwanderungsvisum. Und die Regierung gab einen Kredit, also sie zahlten die Reisegebühren mit dem Boot und dem Zug und sobald man sich niedergelassen hatte, musste man es zurückzahlen. Das ist die einzige Beihilfe, den wir als Einwanderer von Kanadas Regierung erhalten haben. Wie auch immer, ich hatte jetzt die Papiere, um das Land zu verlassen aber meine Mutter war sehr unglücklich, also spielte ich immer noch mit dem Gedanken: „Soll ich gehen oder nicht?“ Und ich werde es nie vergessen, ich arbeitete mit einer Dame, sie war ziemlich dreist und sagte: „Du wirst doch nie gehen!“ [lacht] Also dachte ich: „Mm-mm.“ Das hat an meinem Ego gekratzt, wissen Sie. Ich dachte: „Nein, ich gehe.“

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.1.1.a

1.2 Die Reise mit Schiff und Zug
1.2 Die Reise mit Schiff und Zug

[00:03:50]

Lisa: Also verließ ich Deutschland in einem dieser alten Kaiserboote, der Kaiser hatte diese Boote für den Transport von Truppen nach Europa gebaut und nun transportierten sie Einwanderer in großen Kabinen - man kann sie nicht einmal Kabinen nennen. Ich meine, hunderte Menschen in einem einzigen Raum. Aber Frauen hatten kleinere Kabinen, Frauen teilten die kleineren Kabinen mit etwa fünfundzwanzig anderen, da waren Etagenbetten und so.

So kam ich im November 1951 in Halifax an. Wir sind in Halifax gelandet; von da an war ich eine Aufenthalts-genehmigte Einwanderin [landed immigrant] und von dort sind wir mit den Zügen, sehr alten Zügen, quer durch Kanada. Sie waren bequem - man konnte die Sitze zurückstellen und sie hatten Plüschbezüge - natürlich waren es ältere Fahrgestelle, aber immerhin hatten sie Plüschbezüge und man konnte nachts schlafen. Und sie hatten diese alten Kanonenöfen zum Heizen und als Stauraum... Also, wir hatten Geld, wir hätten es im Speisewagen [ausgeben können]. Aber wir wollten lieber sparen, weil wir es später sowieso zurückzahlen müssten. Also, auf den Bahnhöfen verkauften sie Butter und Brot und andere Dinge, also kauften wir uns was und kümmerten uns um uns selbst. Um die Butter kalt zu halten, legten wir sie zwischen die Fenster – die Züge hatten Doppelfenster, aber oh, alles war so locker und brüchig, am ersten Morgen, als ich aufwachte, dachte ich: „Wo ist meine Butter?“ Ich konnte nichts sehen, es war alles schwarz vom Rauch, wissen Sie.

Also, ohnehin, wir fuhren dann durch alle Provinzen und als wir Alberta erreichten und durch die Rockies fuhren, wachte ich nachts auf und ich schaute aus dem Fenster und dachte: „Gott, wird es jemals dunkel.“ Und dann sah ich auf und da waren die Berge. Die Berge kamen regelrecht auf uns zu und ich schaute auf und dachte: „Mein Gott.“ Und da kam mir der Gedanke: „Werde ich mein Zuhause jemals wieder sehen?“ [lacht] Damals hat es fast zehn, zwölf Tage quer durchs Land gebraucht, die Züge waren sehr langsam, wissen Sie. Ich meine, heute dauert es etwa fünf Tage, nur halb so lang. Dasselbe mit dem Boot, mit dem Boot brauchten wir zwölf Tage. Jetzt nimmst du die Queen Elizabeth und bist in fünf Tagen auf der anderen Seite. Nun, wie auch immer, so kamen wir in Vancouver - “Beautiful Vancouver”; Wir hatten uns entschieden nach Vancouver zu kommen, es klang wie einer der besten Teile von Kanada. Aber ich war allein damals, die Leute aus meinem Labor kamen an anderen, verschiedenen Tagen an, ich kam allein. Ich kam in Vancouver an. Und das alte Einwanderungs Gebäude – es steht nicht mehr, es war direkt neben dem Handels- und Kongresszentrum, dort stand es früher; natürlich reißen Sie in Kanada jedes städtebauliche Erbe ab, das ist wirklich traurig; man hätte sie wirklich bewahren sollen, denn ich meine, tausende Menschen (besonders nach dem Krieg) gingen da durch und damit waren sehr viele - Erinnerungen verbunden. Und manchmal denke ich, es wäre schön, zu diesem Gebäude zu gehen und sagen zu können: „Mein Gott, hier bin ich gelandet.“ Das gehört heute zum Leben. Europa ist viel besser darin. Kanada sagt einfach: „Ach, für einen Dollar, weg damit.“ Ich meine, man hätte es ganz leicht bewahren können, weil nichts anderes dort gebaut wurde, also hätten sie es leicht als historisches Gebäude beibehalten können, weil, ich meine, viele Leute verbinden damit gute Erinnerungen an die Zeit, an der sie ankamen und so.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.1.2.a

1.3 Die ersten Schritte in Kanada
1.3 Die erste Schritte in Kanada

[00:08:22]

Alexander: Woran erinnern Sie sich am meisten von Ihrem ersten Tag in Vancouver? 

Lisa: Nun, wo wir gewohnt haben, im Einwanderungsgebäude, wissen Sie. Wir mussten warten, bis wir einen Job bekamen. Also warteten wir alle zusammen und dachten: "Was werden wir tun?" Und einige von uns waren sehr krank. Das waren also Zeiten, in denen man wirklich zusammenhält, Sie wissen schon, ich habe schöne Erinnerungen an damals. Man denkt sich: „Mein Gott, das ist der Ort an dem ich in diesem Land angekommen bin.“

Na ja, jedenfalls. Ich hatte beschlossen, für eine kurze Zeit mit einer Familie zu arbeiten, um das Leben in Kanada zu lernen, wie sie kochen, wie sie sich benehmen. Nach etwa zwei oder drei Tagen stellte mir jemand vom Arbeitsamt eine Dame in West Vancouver vor. Also ging ich dorthin und verbrachte, glaube ich, etwa fünf Monate dort. Das war eine Familie mit zwei Kindern. Und damals hat man in Vancouver nicht mal die Türen abgeschlossen. Also als wir das erste Mal einkaufen gingen, fragte ich: „Schließen wir nicht ab?“- Und die Dame antwortete: „Oh, nein, wir schließen unsere Türen hier nicht ab.“ Und alles, was ich besaß, waren mein Koffer und meine Kamera, aber ich hatte trotzdem Angst. In Europa hat man diese Mentalität. Aber hier, es war so ein schönes Land. Es war immer noch wie ein Dorf. Viele Menschen verschlossen ihre Türe nicht.  Niemand dachte groß darüber nach.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.1.3.a

Teil 2: Das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg
Teil 2: Das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Deutsche Frau in Kanada
2.1 Wie war es als Deutsche in Kanada?
2.1. Wie war es als Deutsche in Kanada?  

[00:21:20]

Lisa: In der Tat, zwei Dinge schockierten mich in diesem Land - erstens, in jeder Ecke sah ich eine Kirche, aber in jeder Kirche glaubte man an Gott auf eine andere Art und Weise. [lacht]. Daran war ich nicht gewohnt in Deutschland. Und der zweite Schock war, wie viele Menschen hier in Sünde lebten, in common law, [außereheliches Zusammenleben], weil sie sich in diesem Land nicht scheiden lassen konnten. Das kam erst vor etwa zwanzig Jahren. Weil die Leute sich nicht scheiden lassen konnten, lebten viele in Konsensehen. Das war... Also in dieser Hinsicht hatte Kanada eine gespaltene Persönlichkeit, Sie wissen schon, nach außen hin so rein, - die Puritaner, alle waren Puritaner im Fraser Valley, trinken verboten, dies und das, so und so, alles verboten. Aber dann lebten sie in Sünde.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre.  Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.1.a

[00:22:59]

Lisa: Nachdem ich eine Weile hier war, habe ich viele Male versucht hier und da etwas zu verbessern, wo man was verbessern konnte... Ich sprach mit anderen Leuten und sie wurden wütend und sie sagten: „Wenn es dir hier nicht gefällt, warum gehst du nicht zurück nach Hause?“ Sie wissen schon, das ist sehr beunruhigend. Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, was aus Kanada geworden ist, frage ich mich manchmal: “Vielleicht hätte ich auf sie hören sollen, vielleicht hätte ich nach Hause gehen sollen.” Denn ich konnte nicht wirklich viel ändern. Die Leute würden sowieso nicht auf mich hören. Und dann als Deutsche war es natürlich schwierig, nach [Sie wissen schon] ... Es gab Feindseligkeit, als wir hierher kamen und wir sprachen kaum noch Deutsch. Am Anfang aus zwei Gründen. Am Anfang waren wir getrübt, nicht jeder war so, aber viele von ihnen wollten die Deutschen hier bestrafen, als ob die Deutschen etwas wieder gut machen müssten? Ich meine, ich war nur ein Kind, wissen Sie, war ein junger Mensch, ich hatte nichts damit zu tun, ich hatte ihn nicht gewählt. Ich meine, wie Hitler war und was dort passiert ist, das ist eine andere Sache. Aber ich meine, da war ich, ich war, ich hatte nichts damit zu tun, also warum mich bestrafen? Und der zweite Grund war, dass wir glaubten... Um eine Sprache zu lernen, muss man sich für eine Weile von der eigenen Sprache fernhalten, damit man das Denken in der neuen Sprache lernt. Also, mit den anderen Deutschen, die ich hier traf, sahen wir uns, aber weil wir die Sprache lernen wollten anfangs nicht so oft wie wir es wahrscheinlich getan hätten. 

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.1.b

Achtung: Sexuelle Gewalt, Selbstmord, Kriegsverbrechen, Kannibalismus

[00:31:16]

Lisa: Ich wollte eigentlich Sportlehrerin  werden. Ich war gut in Sport, Gymnastik und Hauswirtschaft. Und ich fing damit an und alle waren so traurig, als ich es schließlich aufgab. Nun, wir alle waren unentschlossen während des Krieges. Weil man bestimmte Dinge einfach nicht machen konnte, studieren konnte man nicht, das war ganz unmöglich, weil man für Kriegsdienste gebraucht wurde. Aber ich denke, was mich wirklich zum Studieren gebracht hat, war, dass ich im Arbeitsdienst gedient hatte- was jeder tun musste, wissen Sie, und dann sah ich diese Anzeige in der Zeitung, dass Siemens in Berlin nach jungen Damen mit einem High School Diploma und einer Ausbildung in Elektronik suchte, weil sie Ersatz für ihre Ingenieure brauchten, die im Krieg stationiert wurden. Ich dachte: “Oh, nach Berlin zu gehen, hört sich aufregend an.”, ich dachte: “ein weiteres Abenteuer”. Das war eigentlich recht erfreulich, denn in Berlin hatte man noch... – man hatte noch einige Chancen ein interessantes Leben zu führen. Man konnte sich in einem Restaurant für eine Flasche Wein anstellen und einen schönen Abend haben und so.

Es war also immer noch schön, aber das Leid nach dem Krieg war schrecklich, als die Russen kamen, da war es schrecklich. Das will ich nie wieder durchleben, ich glaube ich würde mich umbringen.

Alexander: Was genau ist passiert?

Lisa: Oh, es gab so viele Vergewaltigungen. Ich meine, wenn man mal Serbien betrachtet, ja, es ist schrecklich in Serbien, aber die Russen waren in Deutschland nicht besser. Ich meine, man hat ein paar Bücher gelesen, die jetzt über Ostdeutschland geschrieben werden, was da mit den Russen vor sich ging, es ist - Ach, es ist einfach schrecklich, die Morde, die dort stattfanden und die Vergewaltigungen und so. Ich meine, die Sache ist so, ich habe eine Dame in einer der offenen Radio Leitungen gehört, ich habe das nie vergessen, vor Jahren, diese Dame hat in einem sehr berühmten Radioprogramm von Pat Burns, darüber gesprochen, was die Deutschen im Osten durchgemacht hatten mit der russischen Einwanderung und so, und der Radiosprecher sagte: “ Sehen Sie Mal, ich schätze Ihre Worte, ich bin ziemlich sicher, dass das alles wirklich passiert ist, aber”, sagte er, “Das ist das Problem, wenn man den Krieg verliert, niemand kümmert sich darum, was Ihnen zugestoßen ist. Man sorgt sich nur um diejenigen, die den Krieg gewonnen haben.”, sehen Sie? Aber ich denke immer noch, dass es trotzdem einige Bücher über Deutschland gibt. Und ich meine, es ist schrecklich, was vor allem in Ostpreußen, Königsberg und so passiert ist. Was diese Menschen durchgemacht haben müssen… Es ist unbeschreiblich, was sie da durchgemacht haben. Ich meine, sie aßen die Leichen, weil sie nichts anderes zu essen hatten, wissen Sie, da gabs Kannibalismus.

Und in Berlin war es dasselbe. Ich meine, ich war -- ich lebte in einer Wohnung von Leuten, die in Danzig waren, und ich kümmerte mich um die Wohnung und sie gaben mir eine schöne Unterkunft, aber da war eine Dame, eine Witwe, die unter mir lebte. Und weil sie den Kommandanten bei sich hatte, fragte ich: “Gott, was soll ich tun?” Sie sagte: “Du würdest nicht mit dem Kommandanten reden wollen. Das Erste, was er tun wird, ist dich zu vergewaltigen.” Das war die Situation.

Und im nächsten Block lebte eine russische Frau, und sie tötete sich, sie beging Selbstmord, weil sie zu Tode vergewaltigt wurde. Und sie sprach fließend Russisch, war in Russland geboren. Wenn Menschen also darüber sprechen, was in der Welt vor sich geht - ich weiß, was in der Welt vor sich geht, aber ich fühle mich hilflos und will nicht darüber nachdenken. Ich will nicht darüber nachdenken, weil es mich verrückt machen würde, weil es all meine Erinnerungen zurückbringt, ich will nichts mehr damit zu tun haben. Diese Zeit ist vorbei. Aber wenn man darüber spricht, kommt alles zurück, wie wenn Menschen in diesem Land darüber sprechen, von ihren Eltern, Verwandten und Freunden und so missbraucht zu werden, ich kann es verstehen. Das ist eine schreckliche Last. Schreckliche Last. Aber du willst einfach nichts davon hören, wissen Sie? Ich will einfach nichts davon hören. Und es passiert immer wieder.

Alexander: Hatten Sie [selbst] schlechte Erfahrungen mit den Russen?

Lisa: Oh ja, ich habe meinen einundzwanzigsten Geburtstag mit einer Familie gefeiert, da war eine Mutter und sie hatte eine Tochter und dann waren weitere drei oder vier Mädchen und ich, und dann kamen die Russen herein, ungefähr zwanzig Russen und dann wählte jeder von ihnen eine von uns und wollte in den nächsten Raum, und dann konnte ich... – Man hatte Glück, wenn man aus der Situation rauskam. Und wir arrangierten mit ihnen, dass wir sie am Abend treffen und mit ihnen feiern würden. Also sind wir aus der Situation rausgekommen und haben die Wohnung sofort verlassen. Aber die arme Mutter und ihre Tochter sind dort geblieben und die Russen sind in die Wohnung eingebrochen und haben sie vergewaltigt. Alle auf einmal, vergewaltigten sie. 

Den ersten Kontakt [mit den Russen] hatte ich als Siemensstadt, wo ich wohnte, schließlich eingenommen wurde. 

Da kamen sie in den Keller und ach Gott, ich meine, wo ich Ihnen das jetzt erzähle, tut mir wirklich alles weh, ich zittere. Da kam dieser Mongole, und sagte [gestikuliert]. Sie wissen schon. Also, wir waren im Keller, wissen Sie, wegen der Schießerei und so. Also, ich weiß nicht, er sagte: „Komm, komm!“ Sie konnten normalerweise ein paar Worte Deutsch sprechen, wissen Sie. Also dachte ich: „Oh Gott! Was soll ich tun?" Wissen Sie, es gibt keinen Ausweg. Was soll man machen? Nach draußen rennen, wo noch Hunderte mehr sind? Also drängte er mich in eine Ecke und ich... ich meine, alle saßen einfach da, was sollten sie sonst tun. Sie waren wie Statuen, saßen einfach still. Jeder war hilflos, wissen Sie. Und dann fing ich an zu schreien, fing an wie verrückt zu schreien, also ließ er mich gehen. Ich hatte Glück. Er musste mich nicht freilassen. Aber er hat mich gehen lassen, also war ich oft ziemlich kurz davor… wissen Sie.

Und dann nach diesen zwei Erfahrungen verstand ich, was die alte Dame meinte, die unter mir wohnte, und von da an fühlte ich mich nirgendwo mehr sicher. Man war ständig am Wegrennen … -- Ich lebte eine Zeit lang bei einer älteren Dame. Ich weiß nicht, wo wir uns kennengelernt hatten. Und so half ich ihr und sie half mir. Sie hat mir einen alten Mantel und ein Tuch über den Kopf gegeben und versucht, mich alt wirken zu lassen, aber ich meine, ist es überhaupt möglich die Russen zum Narren zu halten? Wissen Sie, vor der Wohnung stand ein großer russischer Panzer. Ich musste öfters raus, um Wasser zu holen. Ich meine, sie war auf mich angewiesen, also holte ich Wasser und Essen für sie, wissen Sie. Also, eines Tages brachen sie in die Wohnung ein, wissen Sie. Und ich rannte um mein Leben und wusste nicht, was ich tun sollte. Also war alles mehr oder weniger leer. Also rannte ich unten in eine Wohnung und versteckte mich hinter der Eingangstür. Ich meine, es war offen, wissen Sie. Und ich dachte: „Oh Gott! Ich hoffe, sie kommen nicht hierher.“ Sie sind also gegangen, wissen Sie.

Und so hatte ich natürlich meinen Schutz verloren, also traf ich jemand anderen. Wir haben das Lager von Siemens geplündert, das Lebensmittellager, also hatte ich hundert Pfund Mehl, damit wir wenigstens Brot backen konnten. Und ich habe jemanden kennengelernt, der aus der Nähe von Frankfurt kam. Er sagte: "Ich haue ab." Ich sagte: "Kann ich mitkommen?" Er sagte: „Sicher.“ Er sagte: „Die Züge fahren jetzt ab.“ Also, was ich gemacht habe, ich habe das Mehl genommen und Brot gebacken, benutzte Wasser und Mehl und backte und briet es und dann habe ich mir einen Rucksack genäht, das ganze Brot hineingestopft und dann bin ich mit ihm abgehauen. Also, ich glaube, die S-Bahn fuhr damals und wir mussten zu einer Station – ich habe jetzt vergessen, welche das war, irgendwo im Süden. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

Also stieg er in den Zug und das dauerte eine Ewigkeit. Naja, es sollte am Morgen abfahren, aber es fuhr endlich irgendwann im Laufe des Tages ab. Und dann fuhr es zur Grenze, nach – ich habe jetzt vergessen, wohin wir fuhren. Wie auch immer, es war die letzte Haltestelle und dann gingen wir alle… - Wir wurden alle in den Schulen dort gesammelt, dort blieben wir über Nacht und am nächsten Tag--

Alexander: Das war in Frankfurt? 

Lisa: Das war bei der Elbe. [Beginn des unübersetzten Originals] War damals die Grenze bevor die Amerikaner zurückgezogen sind, das war direkt nach dem Ende des Krieges, das war ungefähr drei, vier Monate nach dem Ende des Krieges. Ich konnte das nicht aushalten. Meine Verwandten die waren ja, meine Eltern, die waren ja bei Kassel. Die wußten ja garnicht, wo ich war. Und dann bis zur Elbe brachten die uns. Ich hab jetzt vergessen, wie der kleine Ort geheißen hat, ich muß es mal wieder nachgucken. Und dann am nächsten Tag, naja, dann hat man da rumgehorcht, wie man jetzt am besten darüber kommt. Das war ja Feindesland, war ja alles Feindesland. Denn ich meine, die Russen, die marschierten da und die Amerikaner auf der anderen Seite, die Amerikaner sind nicht marschiert, denen war’s ja egal, ob mir kamen oder nicht. Und dann sind wir dann, mußte man horchen, ja da kannste auf das Feld fahren und da liegen schon hacken und dann tuste als wenn du hacken tust und dann guckste wenn die Russen weg sind, wenn die Russen vorbeigegangen sind, dann gehst du runter und dann liegen da Boote and dann machste dich auf die Boote. Und dann gehste rüber und dann wenn du Glück hast, schießen sie nicht. Wenn du kein Glück hast, dann schießen sie, nicht? Und dann sind wir dann über die Elbe rüber, nach dem Westen zu.

Alexander: In welchem Jahr war das?

Lisa: Das war in fünfundvierzig. Direkt nach dem Krieg—das war ende Mai. Und das [diese Erfahrung] war ungefähr ich glaube August, September. Und dann bin ich zu meinen Eltern und-- Was hatten wir denn? Wir hatten ja nichts. Ich hatte alles nach Hause geschickt, wir wohnten in Gießen, das war alles verbrannt, alles zerstört, ich hatte nur noch Sachen, ähm, Zwirn, Stoffgarn, lächerliche Sachen. Die konnte man nicht kriegen, man konnte nicht einmal sich etwas zusammennähen. Und ich hatte noch alle solche Sachen in Berlin, das war alles noch erhalten geblieben. Dann sind dann meine Mutter und ich, haben uns noch einmal auf den Weg gemacht und sind nach Berlin rein. Wieder über die Grenze. Und meine Mutter sagt, “Menschenskind, wenn die dich hier, wenn die dich vergewaltigen, ich bring die um,” hat sie gesagt. Und dann sind wir wieder über die Grenze bei-- wie hieß denn das noch, ganz berühmter Ort, wo man immer über die Grenze ist, ich komm im Augenblick nicht drauf. Dann sind wir dadrüber. Viele sind dann hintenrum durch den Wald, Gott, die sind vergewaltigt worden. Wir sind nicht dadurch, wir sind einfach querfeldein nach dem Bahnhof zu, aber trotzdem haben sie uns erwischt. Und dann haben sie uns-- das Essen haben wir uns mitgenommen, weil man ja nichts kriegte unterwegs. Und dann haben sie uns die Kartoffeln-- die Russen! haben uns die Kartoffeln abgenommen und das Brot! So schlecht gings denen, dass die uns die Esserei weggenommen haben. Dann kamen wir unten am Bahnhof am, war spät schon, abends. Der Zug war voll, und da ging kein Apfel zur Erde. Da sagt meine Mutter, “Ach Gott im Himmel, die Nacht verbringe ich doch nicht mit den Russen hier. Was machen wir denn?” Und dann sag ich, “Naja, komm her, wir müssen irgendwo noch rein. Dann haben wir Türen aufgerissen und die Leute sind alle rausgefallen, ne? Und dann kam ein Russe, der Zug war kurz vor’m abfahren. Da kam ein Russe und sagte, “Mutter und Tochter müssen mit.” Und dann hat der uns da irgendwo reingeschoben. Aber ich kann Ihnen sagen: Wir haben kaum Luft gekriegt, aber wir waren froh! Was waren wir froh, dass wir da weg waren! Das Schlimmste hatten wir jetzt  da erst einmal hinter uns.

Dann sind wir nach Berlin rein, dann haben wir das Zeugs zusammengebracht, dann ich noch meinen ehemaligen Boss besucht. Gott, der hatte genug, der war gut im Schieben. Der war immer sehr gut in solchen Sachen. Denen gings nicht schlecht. Hab ich den noch besucht, na und dann gings wieder zurück, denselben Weg wieder zurück. --Friedland! Friedland, ja, das war der berühmte Punkt [Der vorerwähnter Grenzübergang]. Na, und dann kamen wir dann an wieder auf der anderen Seite und das war eine Schlange, och Gott, das war eine Schlange. Dann kamen die Russen, da waren Wagen, Pferdewagen voll mit allem mög-- Autos, alle Autos, die hatten alle Pferde und alles. Und dann wurden die beraubt und ach! Dann war die Grenze offen, dann gingen die Leute rüber. Uch, schnell rüber. Dann war die Grenze wieder zu. Die sind doch so unberechenbar. Dann war sie wieder mal offen, dann wieder zu. Nun kannte ich ne Kollegin von—die war mit mir im Arbeitsdienst gewesen—und Gott sei Dank hatte ich die gefunden, und die hatte ihren Handwagen genommen und hat uns wenigstens geholfen unsere Sachen ein Stück zu fahren. Mein Rucksack war auch noch kaputtgegangen. Und dann hat die uns ein Stück gefahren. Und dann hat sie gesagt, “Weiter kann ich jetzt nicht.” Weil, weil das zu gefährlich für sie war, das kam dann zu nah die Grenze, da war ich ja dankbar noch. Ich hab schon oft gedacht: Wo mög die sein? Ich hätte ihr gerne noch einen Dank ausgesprochen, das war so eine Hilfe. Naja, wir sind dann Gottseidank noch rüber gekommen. [Ende des unübersetzten Originals]

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.1.c

[00:56:07]

Lisa: Nachdem ich als Hausangestellte für die Familie gearbeitet hatte, hatten mich meine alten Arbeitskollegen aus Deutschland gefunden, also kannte ich hier bereits ein paar Leute. Einer von ihnen stand mir sehr nahe, also half ich ihm – seine Frau sollte noch mit ihrem kleinen Sohn aus Deutschland nachkommen, also half ich ihm beim Aufräumen – er hatte nicht allzu weit von hier eine Wohnung gefunden, und die Wohnung zu säubern dauerte den ganzen Tag, oh. Da waren Flöhe im Sofa, oh, es war ein furchtbares Durcheinander. Er arbeitete in so etwas wie einer kleinen Küche und ich sagte: „Garry, was zum Teufel machst du da, bist du immer noch nicht fertig mit dieser kleinen Küche?“ Er sagte: „Du würdest es nicht glauben“, sagte er, „jetzt, wo ich das Dreck endlich gesäubert habe, sehe ich die Farbe des Bodens.“, sagte er. Das war etwas, ich sage Ihnen, Kanadier konnten sehr schmutzig sein. Oh Gott im Himmel. Gott wie konnten sie so schlampig sein. Und oft hatten sie keine Häuser, aber – ich meine, dieses Land bot so viele Möglichkeiten. Alles, was Sie brauchen, ist ein bisschen Geld. Man bot uns ein Acker in Richmond für nur tausend Dollar an.

Alexander: Wer bot das an?

Lisa: Oh, Leute, die wir trafen, Deutsche, die schon lange hier lebten, die wollten etwas Land verkaufen, also haben sie uns sehr viel Land für tausend Dollar geboten. Tausend Dollar. Stellen Sie sich das vor. 1950. Ich verdiente fünfzig Dollar im Monat. Und dann habe ich angefangen zu arbeiten, wie viel habe ich für eine Stunde bekommen – achtundfünfzig Cent? Wissen Sie, tausend Dollar war so, als würde man heute ein Haus für 200.000 Dollar kaufen, so ist das wenn man das Geld nicht hat. Oh, es gab viele gute Gelegenheiten. Viele nutzten diese Gelegenheiten, besonders wenn sie als Paare hierherkamen, viele von ihnen, die in diesen Dingen gut waren. Sie kauften ein altes Haus, renovierten es, verkauften es, kauften ein anderes und arbeiteten sich auf und verdienten damit Geld. Gelegenheiten gab es viele damals. Es war eine schöne Zeit, es war eine gute Zeit, es war eine gute Zeit.

Natürlich, wir waren schließlich Deutsche und auf die Deutschen musste man aufpassen, und als dann 1963 das Deutsche Wirtschaftswunder kam, konnten wir es alle, wissen Sie, wir konnten es nicht glauben. Und danach wurden wir noch mehr gehasst, weil wir es wieder geschafft hatten. Diese Deutschen kann man in den Boden schlagen und sie schaffen es sich wieder aufzurappeln. Und sehen Sie, man hasste die Deutschen dafür, aber tief im Inneren bewunderte man sie, man bewunderte sie. Das ist das gleiche hier. Ich meine, jeder weiß verdammt gut, dass wenn es irgendein Problem zu überwältigen gibt, man einen Deutschen ruft, der weiß, wie man das Problem löst. Deshalb sage ich immer: „Ihr Deutschen, ihr solltet stolz auf euch sein. Lasst euch von den anderen nicht sagen, dass ihr aus dem Hitlerland kommt, das ist Vergangenheit, mit dem Hitlerland habt ihr nichts zu tun. Ihr seid Deutsche, ihr arbeitet immer noch eifrig, verdient eifrig euren Lebensunterhalt und verdient es auf angemessene Art und Weise.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.1.d

[Dies kann auch in Abschnitt 2.2 analysiert werden: Wie war es eine Frau in Kanada zu sein?]

[00:59:33]

Alexander: Hatten Sie jemals Probleme damit, eine Deutsche in Kanada zu sein?

Lisa: Oh, ich glaube, Deutsch zu sein war ein Teil des Problems im Job aber das Hauptproblem war eine Frau zu sein. Sich nicht so zu benehmen, wie es eine Frau in Kanada tun sollte, wissen Sie. Das heißt, wenn du einen Job willst, gehst du mit jemandem ins Bett. Das war hierzulande weit verbreitet.

Alexander: Wie haben Sie davon erfahren, dass Sie mit jemandem ins Bett gehen müssten?

Lisa: Oh, ich habe das in meiner Firma gesehen. Alle Frauen, die gute Stellen ergatterten, hatten nicht mal die Hälfte meiner Bildung und meines Wissens. Sie sind alle befördert worden. Ist klar. Natürlich sind sie befördert worden, weil die Männer, mit denen sie ins Bett gegangen sind, ihnen geholfen haben, sobald sie in ihrem Job stecken geblieben sind. Sie konnten ihre Arbeit nicht allein erledigen.

Alexander: Waren das alles kanadische Frauen?

Lisa: Ja, Kanadierinnen. Deshalb habe ich Ihnen erzählt, wie der Techniker mich einmal gefragt hat: „Wie kommt es, dass Sie in ihrem Job nicht weiterkommen?“ Und sie wussten, er hat mich nur im Scherz gefragt. Und ich sagte: „Nun, es ist ganz einfach“, sagte ich, „ich gehe ins Bett, mit wem ich will, und nicht, weil ich einen Job brauche.“ Ich sagte: „Ich bevorzuge es nicht mehr Geld zu verdienen, anstatt das zu tun.“ Ich sagte: „Ich möchte morgens, wenn ich aufstehe in den Spiegel schauen können.“ …

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.1.e

2.2 Wie war es als eine Frau in Kanada?
2.2 Wie war es als eine Frau in Kanada?

[00:01:28]

Alexander: Als Sie durch den Zoll kamen und gefragt wurden, welchen Beruf Sie hier ausüben möchten, haben Sie da „Hausangestellte“ gesagt?

Lisa: Lustig, dass Sie das ansprechen. In meinem Pass stand „Technologe“, und als ich in Halifax ankam, schaute der Einwanderungsbeamte darauf und sagte: „Lady, Sie reisen in den falschen Teil des Landes.“ Und er hatte recht, denn im Osten wären meine Chancen besser gewesen. Sehen Sie, das ist, das müssen Sie den Quebecern überlassen, die Frankokanadier, besonders in der Gegend von Montreal, die sind europäisch, weltoffen und die Dinge sind dort etwas anders, aber hauptsächlich wird dort mehr produziert. Da wären meine Chancen besser gewesen, verstehen Sie? Hier [in B.C.] war dieses Gebiet begrenzt, es ging hier nur um Fernsehantennen und Fernsehreparaturen und die Leute hier dachten, dass das nicht für eine Frau geeignet ist. Sie dachten, an Männer, an den Fließband, daran dachten sie. Also so war das wahrscheinlich und er hatte Recht, ich habe seine Worte nie vergessen, er sagte: „Lady, Sie reisen in den falschen Teil des Landes.“

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.2.a

[00:10:15]

Lisa: Ich war es nicht gewohnt, für jemanden zu arbeiten und an einem Ort fest zu stecken. Sie wissen schon, die ganze Zeit nur Babysitten, also habe ich nach fünf Monaten einen anderen Job gefunden und in einer Fabrik gearbeitet. Eigentlich hatte ich nach einer Stelle gesucht, in der ich meinen Beruf als Technologe ausüben könnte. Aber es war einfach unmöglich. Erstens war Kanada immer noch ein zurückgebliebenes Land, was die Herstellung und Derartiges anbelangte. Hier gab es nur Verkaufsbüros und vielleicht eine kleine, ganz kleine Montage, vielleicht eine Person hier, zwei Personen dort oder so, und dann auch nur Teilzeit; Man rief dich nur wenn man dich brauchte. Also als Frau, die – die verheiratet war, Kinder hatte, und etwas Geld dazu verdienen mochte, konnte man dort vielleicht sechs, acht Monate arbeiten. Aber nichts Festes. Und ich ging zu General Electric und fragte dort nach einem Job aber sie sagten nein, aber sie gaben mir eine Liste von Unternehmen, bei denen ich es versuchen könnte. Also machte ich mich auf den Weg – oh, auf der Liste standen ungefähr zehn, zwölf Namen – ich arbeitete ungefähr die Hälfte bis drei Viertel der Liste ab und dann hatte ich die Schnauze voll, weil alle sagten: „Nein! Dieser Job ist nicht für eine Frau geeignet.“ Sie würden mich nicht einstellen und bla bla bla bla bla.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.2.b

[00:11:40]

Lisa: Oh ja. Sicher, ich meine, damals hab ich immer das gleiche gehört: „Dieser Job ist nicht für eine Frau geeignet, also können wir Sie nicht einstellen“, wissen Sie. Also, es gab keine Menschenrechte, es gab keinen Schutz für Chancengleichheit oder so, wissen Sie. Hier hatte man eine chauvinistische Haltung. Ich meine, in Deutschland war das Denken schon anders. Dort wurdest du in deinem Beruf anerkannt und dementsprechend eingestellt und so, aber hier als Frau.

Also habe ich aufgegeben und für eine Firma gearbeitet, die Koffer zusammenbaut. Wissen Sie, das Merkwürdige war, das was ich es nicht verstehen konnte, und ich habe mich immer darüber aufgeregt, und das war – ich sagte: „Ich verstehe ihre Logik nicht. Sie sagen, das ist nichts für mich als Frau. Aber“, sagte ich, „glauben Sie, dass es denn für eine Frau angemessen ist, in einer Holzfabrik zu arbeiten und diese großen Sperrholzplatten zu heben? Oder diese großen Kisten mit Toilettenpapier und so zu tragen.“ Ich sagte: „Das finden sie angemessener?“ Ich sagte: „Aber hier ist jemand, der Verstand hat, also sage ich, dass ich es nicht für geeignet halte, aus Gründen die ich körperliche Erwartung nennen würde.“  Ich sagte: „Es ist nicht geeignet, weil jemand ein bisschen mehr Verstand hat als Sie“, sagte ich. „Darauf läuft es wahrscheinlich hinaus. Der Grund warum Sie mich einstellen wollen, ist ihr fehlendes Selbstvertrauen“, wissen Sie. Weil ich, glaube ich, fünf oder sechs Monate für die Firma gearbeitet habe, die Koffer herstellte, und dann habe ich einen anderen, besser bezahlten Job gefunden, in einem der größeren Papierfirmen, [unklarer Firmenname]. Und da sah ich Frauen wirklich schwer arbeiten. Kisten heben und so. Also ich habe dort mehr Geld verdient und ich glaube der Grund dafür war, dass die eine Gewerkschaft hatten.

Und ich traf meinen Ehemann und wir heirateten in 1952. Und dann hatten wir einen Sohn. Er wurde 1954 geboren. Und dann blieb ich zu Hause für – 54, 55, 56, 57. Mein Vater verstarb 1955, also sagte ich zu meiner Mutter und meiner Schwester, sie sollten rüberkommen, aber sie sollten auswandern, weil es für sie einfacher wäre zu bleiben, aber sie könnten jederzeit wieder zurückkehren. Sie kamen also 1955, nein 56, im November, also fünf Jahre, nachdem ich hierhergekommen war. Und dann wurde mein Ehemann krank und im Mai 1957 verstarb er.

In der Zwischenzeit bin ich arbeiten gegangen, weil wir uns noch nicht so gut etabliert hatten. Ich wollte genug Geld verdienen, um ein Haus zu kaufen. Aber dann natürlich, ist mein Mann gestorben und ich musste arbeiten. Natürlich stellten sie mich nur als Montagearbeiterin ein, einige deutsche Damen, die dort arbeiteten, waren absolut verblüfft, weil sie meinen professionellen Hintergrund kannten und sie waren schockiert, dass man mich, mit meiner Ausbildung, nicht als Technologin einstellte. Nachdem mein Mann gestorben war, bat mich der Manager – er war freundlich gegenüber Deutschen– er fragte mich, ob ich meine Zertifikate bringen könnte, was ich tat. Ich habe es übersetzt, wissen Sie. Und ich denke, Sie haben das schon selbst erwähnt, und ich habe den gleichen Verdacht, ich glaube, dass er mir wahrscheinlich helfen wollte, weil ich meinen Mann verloren hatte. Also schauten sie sich meine Zertifikate an und sagten dann: „Wir geben dir die Chance, eine Weile als Technikerin zu arbeiten, und dann sehen wir weiter.“ Sie hatten zwei Kategorien – Techniker Eins und Techniker Zwei, also nahmen sie mich als Techniker Zwei an. Nach einer Weile wurde ich wieder degradiert, weil sie anscheinend nicht genug Arbeit hatten und als sie dann wieder mehr Arbeit hatten, sagten sie: „Oh ja, wir stellen dich wieder an, aber wir zahlen dir nicht mehr. ” Das sind also die Einschüchterungen, die ich ertragen musste. Sie hatten eine Zwischenklassifizierung. Ach ja, stimmt, sie haben mich nicht mal gleich als Technikerin eingestellt. Sie haben mich als Elektronik-Produktionsspezialisten eingestellt, als solche haben sie mich eingestellt. Aber ich habe die Arbeit einer Technikerin gemacht. 

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.2.c

[00:17:54]

Lisa: Ich hatte dort bereits vor dem Tod meines Mannes gearbeitet, aber habe nur Montagearbeiten gemacht. Aber dann, nachdem er gestorben war, baten sie mich, meine Zertifikate mitzubringen, und dann sagten sie: „Nun, wir geben Ihnen eine Chance, technische Arbeit zu leisten.“ Aber sie haben mich nicht so bezahlt, wie sie es hätten sollen, anstatt mir den Lohn einer Technikerin zu geben, haben sie mir nur den Lohn einer Produktionsspezialistin gezahlt. Aber nachdem sie mich wieder eingestellt haben, haben sie mich wieder degradiert. Sie sagten, sie würden mir nicht mal mehr den Lohn eines Produktionsspezialisten geben, sondern mich als Montagearbeiterin bezahlen aber mich Technikerarbeiten machen lassen. Dann bin ich also zur Gewerkschaft gegangen und habe gesagt, Sie wissen schon bla bla bla, und die Union hat gesagt, na ja … weil ich ihnen gesagt habe, ich habe gesagt: „Damit kommen Sie nicht durch.“ Also sagte die Gewerkschaft: „Warte, bis du deinen ersten Gehaltsscheck bekommst und schau, was passiert.“ Also, nachdem ich meinen ersten Gehaltsscheck bekommen habe und es mir auszahlen ließ, hatten sie meinen Lohn wieder erhöht, also haben sie mich bezahlt .... Aber dann wollte ich auch als Technikerin eingestuft werden. Ich meine, ich habe die Arbeit gemacht, ich wollte entsprechend bezahlt werden. Ich fühlte mich diskriminiert.

Also, eine Stelle wurde frei,– das ist ziemlich interessant – da war eine Stelle für Techniker frei geworden (und in der Zwischenzeit hatte sich der Manager geändert, ein anderer Mann war jetzt Manager, aber der war auch ein ganz netter Herr), also habe ich mich für die freie Stelle beworben. Und mein Vorgesetzter sagte: “Oh, Sie sind dafür nicht qualifiziert, wissen Sie, Sie werden diese Position nicht bekommen.” Und da war ich so sauer, da bin ich ins Büro des Managers gegangen und habe ihn zur Rede gestellt, und der hat den Personalchef angerufen und ihn gefragt, er hat gesagt: „Bill, ist die Beförderung von Lisa Schwabe durchgegangen?“ Also hatte er die Beförderung eingeleitet. Sie können also sehen, dass alle Arten von politischen Spielen stattfinden.

Und damals war es viel – es ist heute noch so, aber damals war es einfach viel schlimmer als je zuvor. Was zählte war nicht was du wusstest, es zählte, wen du kanntest. Ich habe einmal … ein paar Jahre später machte einer meiner Kollegen eine Bemerkung und sagte: „Wiese bekommst du …“ Was hat man mir nochmal gesagt? – Naja, es war eine sehr krasse Aussage, aber es war die Wahrheit, und es geschah sehr oft. Man fragte mich: „Oh, Lisa, wieso bekommst du keine Beförderung, aber so und so wird ständig befördert?“ Und ich sagte: „Naja, es ist sehr einfach“, sagte ich, „ich gehe ins Bett mit wem ich will und nicht mit dem, der mir einen Job geben kann.“ Ja, das geschah hier oft.

[...]

Wie auch immer. Endlich hatte ich die Stelle als Technikerin bekommen, und natürlich wurde mir immer über die Schulter gesehen. Ich habe einmal herausgefunden, dass sie einen Fehler gemacht hatten, und das war ein wirklich großer Fehler, und Junge, haben sie mich damals dafür runtergemacht. Irgendetwas war falsch gemacht worden, und sie mussten alle vom Außendienst herbeirufen und alles wiederholen. Aber es war ihre eigene Schuld, weil sie nicht wussten, was sie taten.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.2.d

Teil 3: Geschlechterdynamik in Ehe und Familie
Teil 3: Die Geschlechterdynamik in Ehe und Familie
3.1 Die Familiendynamik
3.1 Die Familiendynamik: Eltern, Geschwister und Großfamilie

[00:25:34]

Lisa: Die Stelle als Technikerin lief eine Zeit lang gut. Zum Glück war meine Mutter gekommen und weil ich meinen Mann verloren hatte, blieb sie, sie mochte Kanada, natürlich waren wir jetzt alle zusammen, die ganze Familie – meine Schwester, ich und meine Mutter.

Alexander: In welchem Jahr sind sie gekommen? 

Lisa: 1956 und im Jahr 1957 ist mein Mann ... Sie sind dann hier geblieben, ja. Meine Mutter blieb und meine Schwester heiratete dann innerhalb von zwei Jahren, sie heiratete. Ich hätte Sozialhilfe beziehen müssen, weil mein Sohn sehr krank war, er hat gelitten, er war sehr krank, er hatte sehr schlimmes Asthma und es hat fast zehn, zwölf Jahre gedauert, bis es ihm besser ging, also war es meiner Mutter zu bedanken, dass ich meinen Job behalten und was zu Kanada beitragen konnte, anstatt nur wegzunehmen. Nun, der Kampf in meinem Beruf ging natürlich weiter. Dann wollte ich zum Techniker Nummer 1 befördert werden, und das kam bei denen nicht gut an. Ach ja, da muss ich noch was sagen. Nachdem sie mich zum Tech 1 gemacht hatten, dann – wann immer der Personalleiter Gäste herum führte, zeigte er auf mich und betonte: „Und hier haben wir unsere erste weibliche Technikerin.“ Sie klopften sich selbst auf die Schulter, waren stolz darauf, was sie erreicht hatten.

Alexander: Vielleicht können wir ganz zum Anfang zurückkehren. Sie haben gesagt, dass Sie sich schlecht gefühlt haben, weil Sie Ihre Mutter [in Deutschland] zurückgelassen haben. Warum genau war das so, wie war Ihre familiäre Situation damals?

Lisa: Sagte ich das, dass ich meine Mutter zurückließ?... Oh, ich denke, meine Mutter war wahrscheinlich, nun, wie eine Mutter halt ist, besorgter als ein Vater. Mein Vater war auch besorgt, aber meine Mutter, Sie wissen schon. Sie mochte die Idee nicht. Aber dann dachte ich: „Nun, wenn ich jetzt nicht gehe, werde ich nie gehen. Ich kann auch immer wieder zurückkommen.“

Alexander: Haben Sie oft mit ihr darüber gesprochen?

Lisa: Nein, ich habe nicht bei meinen Eltern gewohnt. Ich habe in Stuttgart gelebt und sie in Kassel. Wir hatten also nicht viel Gelegenheit, darüber zu sprechen. Nein, ich denke, es war nur die Beziehung zu einer Mutter - ich stand meiner Mutter ziemlich nahe. Also wollte ich ihr nicht weh tun.

Alexander: Und wie sah es mit ihrem Vater aus?

Lisa: Oh, ich glaube, das war er auch besorgt war, aber was hätte er tun sollen? Mich zurückhalten? Wahrscheinlich war er in gewisser Weise ziemlich glücklich, weil er ein Kriegsveteran war, im Krieg sehr schwer verletzt wurde und das seine Aussichten auf Abenteuer verkürzte. Also hat er sich wahrscheinlich für mich gefreut, und dachte: „Nun, wenn sie gehen und ihren Platz in der Welt finden will, ist das in Ordnung.“ Da er aufgrund seiner Verletzungen viel Sicherheit verloren hatte, war er auf einer Seite seines Auges blind und wurde mit Granatsplittern in seinem Körper schwer verletzt, also hatte er sein Selbstvertrauen verloren. Dass er, nicht beruflich, aber wahrscheinlich gerne in ein fremdes Land gegangen wäre, sich aber gesundheitlich nicht sicher genug fühlte, dass er es aushalten könnte… Wissen Sie, wenn Sie in ein fremdes Land gehen – und vergessen Sie nicht, dass wir von vor vierzig Jahren sprechen, wo noch alles sehr primitiv war – da will man als ein gesunder Mensch gehen und er war ein sehr gesundheitsbewusster Mensch. Und wie ich schon sagte, er starb 1955 mit einem Alter von kaum 59, und er starb an einem ... sogenannten Schlaganfall. Aber wir denken ... die Ärzte sagten damals zu meiner Mutter: „Es wäre sehr schwierig ... es würde Sie viel Geld kosten zu beweisen, dass es von einem der Granatsplitter kam, die sein Gehirn trafen“, sehen Sie. Das wäre sehr schwierig gewesen. Und Sie wissen ja, wie es mit dem Staat ist – dem Staat etwas zu beweisen, ist wie als ein kleiner Mensch gegen eine Maschine zu kämpfen, wissen Sie.

Und trotzdem, ich glaube mein Vater hätte ein Invalidenrentner sein können, aber das war nicht seine, seine Lebensweise. Er hat dafür nur eine kleine Rente bekommen, aber er hat trotzdem gearbeitet und er war auch im Gebiet der Elektronik beschäftigt. 

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre.  Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu. 

L.3.1.a

3.2 Die Ehedynamik und Familienstruktur
3.2 Die Ehedynamik und Familienstruktur: Ehemann, Kinder, Schwiegereltern

[01:15:50]

Alexander: Wann haben Sie auf die Anzeige Ihres Mannes geantwortet, nach wie vielen Monaten im Land?

Lisa: Ungefähr nach sechs Monaten.

Alexander: Gab es einen bestimmten Vorfall, der Sie dazu veranlasst hat, zu antworten?

Lisa: Oh, ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich kann mich nicht erinnern, ob es etwas mit Europa zu tun hatte, mit europäischer Herkunft, oder so ähnlich, das könnte es gewesen sein. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es klang am attraktivsten, aber ich weiß nicht, warum es am attraktivsten klang, kann es nicht mehr sagen.

Alexander: Sind Sie auf seine Anzeige zufällig gestoßen, oder? 

Lisa: Nein, ich habe die Anzeigen durchgelesen. 

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. 

L.3.2.a

[01:02:47]

Alexander: War es wichtig für Sie, einen Deutschen zu heiraten? 

Lisa: Nein, es ist einfach passiert. Ich habe einige Kanadier getroffen, aber [Pause] Ich konnte mich mit Kanadiern nicht identifizieren.

Alexander: Warum nicht?

Lisa: Tsss, äh. Ich weiß nicht, es ist äh ... Sie sehen, Kanada war, als der Krieg ausbrach, noch ein Agrarland, sie waren immer noch – ich rede nicht von Bildung, ich rede allgemein – noch rückständig im Sport, entweder man gehte zu einem Hockeyspiel oder schaute Wrestling. Ich meine, ich bin in Deutschland von Sportvereinen umzingelt aufgewachsen. Ich meine, ich mache Meisterschaften und all den Zeug mit. Die Frauen hier konnten das nicht verstehen. Ich hatte mit diesen Leuten nichts gemeinsam, wissen Sie. Und sie waren noch nicht gereist, sie waren noch nicht gereist. Sie hatten die Welt nicht gesehen, sie wussten nicht, wie die Welt aussah. Also mir war das zu engstirnig. Ich brauchte jemanden, der den kulturellen Hintergrund Europas hatte.

Alexander: Wie war die Haltung der kanadischen Männer die Sie getroffen haben gegenüber Frauen?

Lisa: Ähm. Nun, die Haltung war, dass die Frau zu Hause blieb, das Haus putzte, kochte, Kinder bekam und sich um die Kinder kümmerte und das wars.

Alexander: Also, war das in Deutschland oder deutschen Männern ungefähr gleich?

Lisa: Ähm. Nun, das ist etwas, das vielleicht noch diskutiert werden muss. Alle deutschen Frauen sagen: „Oh Gott, deutsche Maenner sind so chauvinistisch, ich will keinen deutschen Mann.“ Nun, das mag sein, aber ich würde sagen, der Deutsche kommt vielleicht schroffer, direkter rüber. Aber der Kanadier macht es einem schwer, wissen Sie.

Alexander: Auf welche Weise?

Lisa: Naja, da gabs einige Wege, wie sie es dir schwer machen können. Die andere Sache war auch, ich weiß nicht, die Kanadier sind starke Trinker. Früher saßen sie in der Bierstube herum. Du bist mit ihm in die Bierstube gegangen. Allein konntest du nichts machen. Aber ich denke, im Allgemeinen gab es viele gute Männer. Ich sage nicht, dass diese Männer nicht gut waren. Nur ihr kulturelles Niveau entsprach nicht meinen Anforderungen, weil sie es einfach nicht besser wussten. Sie wussten es nicht besser. Sie waren also engstirnig. Und das hat mich erstickt. Ich bin von Natur aus ein sehr unabhängiger Mensch. 

Alexander: Also, wie genau haben Sie Ihren Mann durch diese Zeitung kennengelernt, wie hat das funktioniert?

Lisa: Oh, naja, er hatte eine Anzeige in der Zeitung, also habe ich auf die Anzeige geantwortet und dann haben wir uns getroffen und dann haben wir Zeit miteinander verbracht und ich hatte diesen sehr engen Freund, an den Wochenenden verbrachten wir viel Zeit zusammen. Und eines Tages waren wir allein und er fragte mich, ob ich ihn heiraten würde. Nun, man ist hier, ganz allein, also denkt man sich: „Warum nicht?“ Eine Zukunft errichten. Er hatte davon geträumt, in den Norden zu fahren und ein Resort zu bauen, vielleicht ein Wildnis-Resort oder so, das klang sehr attraktiv. Ich dachte: „Nun, das klingt nach einer guten Idee.“ Dass er so jung verstorben ist, hat alle Pläne ins Wasser geworfen.

Alexander: Hat es sich komisch angefühlt, ihn durch eine Anzeige in der Zeitung kennenzulernen?

Lisa: Nein. Nein. Oh, da waren viele Anzeigen in der Zeitung, oh ja. Nein, es kam mir nicht komisch vor. Aber vielleicht bin ich selbst komisch. Naja, ich habe keine Hemmungen. Zum Beispiel, die Art und Weise wie man Sex heutzutage betrachtet, ist sehr beschämend für mich, es nimmt die Romantik aus dem, was es wirklich ist. Heute gibt es keine Romantik mehr in der Liebe. Es gibt keine Liebe mehr! Ich sage: „Ich habe kein Problem mit Sex, aber ich muss es nicht die ganze Zeit an die Glocke hängen und sagen: Oh, Sex, Sex, Sex.“ Das ist etwas, was zwei Menschen...

Alexander: War das in den 50’er Jahren anders? 

Lisa: Ach ja. Da war noch Romantik. Flirten, naja Nordamerikaner können nicht flirten, nur Europäer können flirten. Also, wir hatten viel Spaß in Europa mit dem Flirten. Das kannten sie hier nicht, flirten. Sehen Sie, jetzt wo ich mit Ihnen darüber rede, fallen mir ein paar Dinge ein, das Problem, das ich wahrscheinlich hatte, war, dass ich vor allem in British Columbia die Leute so richtig kalt fand. Und nicht sehr freundlich. Und als ich später mit anderen Leuten redete, fand ich was heraus, sie sagten: „Junge, wenn du auf der anderen Seite der Berge bist, sind die Leute dort viel freundlicher.“ Und es ist wirklich wahr. Menschen in British Columbia waren sehr kühl. Vielleicht hat es sich mittlerweile durch die [ethnische und kulturelle] Vielfalt ein bisschen geändert, aber damals war es wirklich BRITISH Columbia. Es war so britisch, dass es schrecklich war. Und das wirkte sich auch auf mich aus, denke ich, ich musste mich ständig dagegen wehren. Ich dachte: „Gott, in was für einer Welt lebe ich hier?“ Und ich kann jetzt bis zu einem gewissen Grad wirklich sehen – die Leute sagen: „Warum hast du nicht geheiratet?“ – Nun, ich sagte: „Ich konnte niemanden finden, den ich heiraten wollte.“ …

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.3.2.b

[01:10:43]

Alexander: Hatten Sie jemals daran gedacht zu heiraten, bevor Sie nach Kanada kamen?

Lisa: Ach ja. Ich meine, ich habe die Ehe nicht gescheut. Mein Verlobter wurde 1939 in Polen getötet, und aufgrund dieser Erfahrung sagte ich, ich würde nicht heiraten, ich wollte keine Witwe sein. Aber sehen Sie, Schicksal, ich bin trotzdem Witwe geworden. Sie können dem Schicksal nicht entkommen. Ich traf einen anderen Mann, der mich unbedingt heiraten wollte, aber ich sagte: „Nein, ich werde nicht heiraten.“

Lisa: In Deutschland. Und dann wollte ich auf ein Abenteuer gehen, ich wollte schon immer raus. Also ergriff ich meine Chance und ging.

Lisa S., Oral History Interview von Alexander Freund, Vancouver, 28.Sept.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.3.2.c

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