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Anneliese

Unbearbeitete Aufnahme des Interviews (auf Englisch)

Sitzung 1

Anneliese Sitzung 1 (Englisch)Dr. Alexander Freund
00:00 / 1:42:24
Anneliese Sitzung 2 (Englisch)Dr. Alexander Freund
00:00 / 1:52:37

Sitzung 2

Hinweis

Interviewte: Anneliese L.

Interviewer: Dr. Alexander Freund

Datum der Sitzung 1: 30. November 1993

Datum der Sitzung 2: 6. Dezember 1993

Ort des Interviews: Surrey, B.C.

Sprache: Englisch

Informationen zum Urheberrecht: Oral History Centre (UWinnipeg)

Das untere bearbeitete Transkript ist eine Übersetzung aus dem englischen Original.

Teil 1: Die Gründe für das Auswandern und die ersten Schritte in Kanada
Teil 1: Gründe für das Auswandern und ersten Schritte
1.1 Das Leben in Europa und die Migrationsentscheidung
1.1 Das Leben in Europa und die Migrationsentscheidung

[S1-00:00:26]

Anneliese: Meine Entscheidung auszuwandern kam, als ich noch in Deutschland war, eine Krankenpflegeausbildung absolviert hatte und in einer psychiatrischen Einrichtung als Krankenschwester arbeitete. Und dann gabs einen großen PR-Ansturm aus Kanada, um deutsche Leute anzuziehen, vor allem deutsche Mädchen, eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass Männer auch nur erwähnt wurden. Ich sah es zum ersten Mal auf der LitfasssÓ“ule, große Plakate sagten, dass Kanada deutsche Mädchen für eine neue Zukunft in einem neuen Land willkommen heißen würde und es klang attraktiv. Land der unbegrenzten Möglichkeiten und man kann fast alles tun, was man sich vornimmt und man sei sehr willkommen und erhalte finanzielle Hilfe. Da habe ich das zuerst gelesen und dachte: „Oh ja, das ist eine gute Idee.“ Weil ich im Grunde genommen schon vor dieser Entscheidung schon immer vom Reisen und dem Wunsch, in fremde Länder zu gehen fasziniert war, und ich hatte einmal versucht, in die Staaten auszuwandern, und es gab zu viele Einschränkungen und es war zu schwierig und einmal in meinen wirklich jungen Jahren, unter Hitler, wollte ich nach Afrika in die Kolonien, die deutschen Kolonien waren dort damals, aber dann war ich nicht alt genug und man musste auf eine sehr strenge Schule gehen. Wie auch immer, dies war die Gelegenheit, bei der es so klang, als ob man mit offenen Armen erwartet wurde. 

[...]

Und wir haben uns mit einer anderen deutschen Freundin, die auch eine Krankenschwester war, dazu entschieden zusammen hierherzukommen. Also haben wir uns zusammen beworben. Am Ende hat es sich herausgestellt, dass sie während dem Vorbereitungsprozess sehr, sehr krank geworden ist und nicht mitkommen konnte, sie wäre dann später nachgekommen. Aber sie hatte Hepatitis, es war einfach unmöglich. Ich habe keine einzige Sekunde daran gedacht aufzugeben, ich habe mir gedacht: „Ich werde allein gehen. Und wenn es ein guter Deal ist und alles so ist wie versprochen und ich es mag, dann werde ich dortbleiben und darauf warten, dass sie sich mir anschließt. Wenn es schlecht ist, dann werde ich ihr sagen, dass ich nur so lange bleibe, bis ich genug Geld für die Rückreise verdient habe und dann werde ich zurückkommen und sagen 'War halt nichts für mich.'” Aber wie es sich herausgestellt hat, war ich sehr gewollt weiterzumachen.

[...]

Sie hatten eine wirklich gute körperliche Untersuchung. Und dann wurde ich natürlich nach Vorstrafen überprüft, und ich musste meine Verbindung zu Nazi-Deutschland erklären. Und ich war natürlich in der Hitlerjugend, aber das schien nicht ... Alle waren da drin, wissen Sie, also war das kein Hindernis. Es dauerte eine Weile, bis ich alle Dokumente bekam. Mein... -- Ich habe jetzt vergessen was sie wirklich über meine Eltern und meinen Hintergrund wissen wollten, und ich hatte nicht... -- meine Eltern starben früh, also war ich ganz allein.  Und eigentlich komme ich aus dem östlichen Teil, damals die Ostzone, Merseburg war meine Heimatstadt.

Und ich war illegal in den Westen gegangen und hatte mir dort ein Leben aufgebaut und alles war in Ordnung. Also, es gab ... Der Prozess, von Anfang bis zu dem Zeitpunkt, als ich bereit war aufzubrechen,  dauerte vielleicht zwischen sechs bis acht Monate, das war im September 1953.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.1.1.a

[S1-00:06:34]

Anneliese: Wir fuhren nach Wilhelmshaven, und wir alle aus dem ganzen westlichen Teil Deutschlands versammelten uns dort, alle waren unheimlich aufgeregt. Wir waren – ich weiß nicht, welche Art von Unterkünften sie hatten, sowas wie Etagenbetten, ich glaube, die hatten improvisiert und dieser Platz war als vorübergehender Ort, um all diese Leute zu sammeln gedacht gewesen. Und es kam eine Schiffsladung nach der anderen voll von Deutschen. Und es würde mich wirklich interessieren, wie viele wirklich gegangen sind. Aber es gab keine Männer, an die ich mich erinnern kann. Es waren also nur Bootsladungen voller junger Mädchen. Ich war neunundzwanzig – nein, oder war ich das? Ich wurde in 1924 geboren, das würde mich -- kann nicht denken -- ja, fast neunundzwanzig machen. Und die anderen waren etwas jünger und ein paar etwas älter. Aber sie waren alle irgendwie alleinstehende deutsche Mädchen, denn die meisten von ihnen - ich glaube sie hatten offen zugegeben, dass es nach dem Krieg keine Möglichkeit gab, einen Mann in Deutschland zu finden,  jeder wurde getötet, das Zahlenverhältnis zwischen Mann und Frau war so schlecht, dass Männer frei wählen konnten, zehn Mädchen pro Mann, also war es eine schwere Sache, wenn man Familie wollte. 

Alexander: Wollten Sie auch eine Familie?

Anneliese: Ich hatte nicht die Absicht mit jemandem auszugehen. Ich hinterfragte nicht, was schlecht und was gut war, das war was die anderen in ihrem Leben wollten und sie sprachen offen darüber. Die Mehrheit wollte einen Mann und eine Familie gründen, aus welchem Grund auch immer. Sie waren auch von der Auswahl angezogen. Vielleicht... Es war hart in Deutschland, es war deprimierend, weil noch nicht alles wieder aufgebaut worden war, und dieses Land war nicht physisch vom Krieg betroffen, wissen Sie, man würde keine Ruinen mehr sehen, diese Art von deprimierender Erinnerung an den Krieg nicht sehen. Vielleicht war es also ein weiterer Grund, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein völlig neues Leben zu beginnen. Und mein Gedanke war - ich dachte nicht daran, wirklich heiraten zu wollen, aber ich wollte gehen und die Welt sehen, und das war mein erster Schritt. Ich wollte arbeiten, bis ich genug Geld hatte, um ein Auto zu kaufen und dann meine Sachen packen und nach Südamerika reisen, um – ich wollte die ganze Welt sehen und so. Und Kanada gab mir, öffnete mir die Tür als guten Ausgangspunkt.

Alexander: Das war also Ihr einziger Grund, Deutschland zu verlassen?

Anneliese:  Ich hatte keine Bindungen mehr zu Deutschland, weil meine sogenannte Heimat nicht mehr existierte. Der Ort, an dem ich in Merseburg geboren wurde, war zerstört, ich hatte keine Eltern, mein Bruder war im Krieg gestorben, es gab niemanden wegen dem mir das Verlassen schwerfallen würde. Wenn also meine Mutter oder meine Eltern noch am Leben gewesen wären, weiß ich nicht, ob ich mich anders gefühlt hätte. Aber ich hatte keine emotionalen Bindungen; Was würde mich zurückhalten? Es war also nur eine Gelegenheit und wie gesagt, ich war ein kleiner Abenteurer, also war ich wirklich aufgeregt und  neugierig und dachte, dass es mir schon nicht schaden würde.

Ich fand auch, ja, ein Grund auch, war, dass ich fand, dass ich eine gewisse Sicherheit verspürte. Wenn ich diese Entscheidung ganz alleine getroffen hätte und mich in ein fremdes Land gewagt hätte, ohne die Sprache gut zu beherrschen und nicht geschützt zu sein, dann hätte ich vielleicht einen Fehler gemacht oder wüsste nicht, wohin ich mich wenden sollte. Aber es schien wie eine wirklich sichere Sache; Die Regierung garantierte dir, zum einen - ich hätte es mir wahrscheinlich  sonst nicht leisten können - sie  gaben dir das Geld für den Neuanfang; sie wussten, wer du warst, du konntest dich nicht verirren, dir hätte nichts passieren können. Das war vielleicht ein weiterer Grund - ich sah darin ein gutes Sicherheitsnetz. Und wenn mir etwas zustoßen würde, würde jemand – so fühlte ich – davon erfahren oder sich darum kümmern, weil ich registriert  war, ich hatte eine Nummer, sie konnten mir folgen, sie konnten nach mir suchen, wenn ich  zum Beispiel nicht zahlte, meine Schulden nicht abzahlte. Das und vieles mehr.  So viele Gründe.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. 

Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.1.1.b

[S1-01:18:06]

Alexander: Sie sagten vorhin, bevor wir das Sprachband einschalteten, dass Sie eine Art von Freiheit verspürten als Sie zum ersten Mal hier ankamen, und Sie haben das mit diesem deutschen Schriftsteller verglichen.

Anneliese: Ja, ja, ja. Das stimmt. Und ich sagte Ihnen auch, dass es das gleiche Gefühl wie bei diesen Teenager-Filmen war. Es ist nur, ich weiß es nicht. Es war halt da. Ich fühlte... Warum fühlte ich es? — Ich weiß es nicht, denn in Deutschland war ich nicht wirklich... Ja, vielleicht war ich eingeschränkt, ja, vielleicht, weil ich aus der DDR komme – wir durften bestimmte Radiosender nicht hören. Unter Hitler war es... Du kannst nicht tun und lassen was du willst, alles war geregelt, was du lesen durftest und was du... und dann später unter den Kommunisten, wo ich in Merseburg war, gab es wieder wirklich große Einschränkungen – man durfte keinen Kontakt zum Westen aufnehmen, man konnte nicht reisen wie man wollte, da waren Grenzen– das ist vielleicht der Grund! Denn mein ganzes Leben lang hatte ich gelernt: “Das kannst du nicht, das darfst du nicht. Du darfst nur dieses Buch lesen... Und du kannst nicht reisen wohin du willst.” Und das ist es wahrscheinlich, was dieses enorme Gefühl der Freiheit geschaffen hat, denn hier kannst du tun was du willst, du kannst sagen was du denkst. Aber sehen Sie, ich denke, den größten Teil meines Lebens durfte ich nicht wirklich sagen, was ich denke. Dann unter Hitler - wir waren alle einer Gehirnwäsche unterzogen, und ich war glücklich. Ich dachte nicht anders, also war ich nicht in Gefahr, etwas Verbotenes zu sagen, weil ich mit allem einverstanden war, weil ich halt so erzogen wurde. Aber später, wenn die Kommunisten kamen, fühlte ich mich sicherlich beschränkt... Und auch während des Krieges. Ich musste  immer... Man hatte das Gefühl gehabt, nicht frei Kritik üben zu können. Du warst nicht frei, deine Meinung zu äußern. Und hier – wohlgemerkt, es hätte nicht so viel ausmachen sollen, denn ich wollte nichts falsches sagen und was ich gesagt hätte, wäre positiv gewesen. Aber ich hatte genau dieses Gefühl - Du kannst sagen, was du willst und du kannst fühlen, was du willst und du würdest nicht... Und du könntest tun, was du willst.

Alexander: Können Sie dieses Gefühl der Freiheit als Sie hierherkamen, mit… Ich weiß nicht, mit dem Gefühl vergleichen als Sie nach Westdeutschland kamen?

Anneliese: Ja, ähnlich. Ja. Ja. Ja, von Ost nach West? Ja, ja. Ähnlich, jap. Und noch mehr... Ja, sehr. Diese enorme Freiheit, weil ich die Grenze ein paar Mal überschritten habe, als es verboten war, und dann fühlte ich mich frei, als ich in Westdeutschland war. Jetzt in Kanada fühlte ich mich noch freier, wenn das überhaupt möglich war.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.1.1.c

1.2 Die Reise mit Schiff und Zug
1.2 Die Reise mit Schiff und Zug

[S1-00:12:29]

Anneliese: Wir gingen auf dieses Boot, diesen alten “Beaverbrae”, und wir kamen rüber und das ist eine Geschichte für sich. Aber vielleicht ist es nicht sehr interessant.

[...]

Das einzige Problem war, dass wir der kanadischen Lebensweise bereits begegneten und dem Essen, Essen, Essen. Wir mussten uns an Cornflakes und Weißbrot gewöhnen und es machte mich krank, auch nur daran zu denken. Meine Güte, und ich war sowieso krank in diesem Boot, ich war seekrank, es war sehr schlecht... Es gab dort keine Stabilisatoren oder so. Ich war die meiste Zeit nur grün; es war ungefähr eine neuntägige Reise. Und ich war einfach ... Ich konnte nicht einmal daran denken...  oh, wenn ich darüber nachdenke. Ich war nicht sehr viel an Deck; Ich lag meistens in einem dieser kleinen Etagenbetten, drei Betten übereinander. Und das war ein umgebauter Frachter, dieses Boot, es war kein Luxuskreuzer, keineswegs. Sie haben sich gut um uns gekümmert.

Das Essen, für ihre Standards, war sehr gut. Wirklich typisch kanadisch - Speck und Eier, Frühstück und gute Mahlzeiten. Aber es war so seltsam für mich und auch für die meisten anderen Mädchen, also aßen wir nicht wirklich viel... Wir waren zu krank, um wirklich was zu essen. 

[...]

Als wir in Quebec City ankamen, wurden wir in einen Zug gesetzt und... Ich denke, haben vielleicht eine Nacht dort verbracht, ich bin mir nicht sicher... und dann sind wir mit all unserem Gepäck zu einem kleinen Camp gegangen. Und es war in der Gegend von Montreal, weit draußen auf dem Land. Es mag eine Schule gewesen sein oder so etwas, auf Deutsch würden wir dazu ein Lager sagen. Es war ziemlich neu und ich bin mir nicht sicher ob es extra gebaut wurde, um die Einwanderer zu überprüfen und zu empfangen, oder ob es für etwas anderes verwendet wurde und wir einfach ... Auch hier war das eine Massenunterkunft, niemand hatte viel Privatsphäre, da war eine Dusche am Ende des Flures, es gab Regeln und Vorschriften für die Essenszeiten, und wir mussten unsere Räume selbst reinigen, also wurde ausgemacht, wer wann was macht. Wenn du an der Reihe warst, musstest du dies und das reinigen und es gab Küchenpflicht und Aufräumpflicht, also haben wir eigentlich alle mal mitangepackt, mussten wir ja.

[...]

Und am Ende waren wir die letzten im Camp, also blieben wir etwa zwei Wochen länger und die nächste Bootsladung kam schon an und sie mussten uns loswerden.

Alexander: Sie waren also noch im Camp?

Anneliese: Ja, wir waren noch im Camp. Schließlich wurden alle in Gruppen eingeteilt, man schickte sie hierhin und dahin und überall hin, hatten Jobs für sie. Und wir beide kamen schließlich zu dem Schluss, dass eine Stelle für uns gesichert war – vielleicht war das eines der Gründe, denn das ist ein Teil der Reise, den wir nicht zurückzahlen mussten. Quer durchs Land, aber es war nicht schlimm, ich meine, man besetzte einen ohnehin leeren Platz, der Zug wäre so oder so abgefahren. Aber da waren wir beide. Also bekamen wir einen Haufen Tickets für die Dauer der Reise für drei Mahlzeiten am Tag und wir konnten zum Speisewagen gehen und essen, aber selbst das war, diese Züge fuhren wie ein Boot. Und ich war dort auch krank. Und hatte mich natürlich noch nicht an das kanadische Essen gewöhnt. Und ich habe die Tickets nicht wirklich benutzt, ich habe gegessen, aber widerwillig.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.1.2.a

[S1-00:22:01] 

Alexander: Ich meine, konnten Sie damals Englisch?

Anneliese: Nun, ich hatte Schulenglisch, ich konnte verstehen, wenn sie langsam und einfaches Englisch mit mir sprachen, ich wusste, was... Ich habe sicherlich nicht auf Englisch geantwortet. Sie wissen ja, dass man ein wenig schüchtern wird, wenn man sich nicht ganz sicher ist, ob man das Richtige sagt oder nicht. Ich hatte kein Selbstvertrauen. Aber ich wusste genug, um zu verstehen, was wir tun sollten und welche Informationen wir wissen mussten, die sie uns auf Englisch und Deutsch gaben. Sogar die kleinen Schilder über den Küchenservice, was wir zu tun hatten und unsere Pflichten, waren immer so geschrieben, dass wir die Anweisungen verstanden. Aber sie haben sich wirklich Mühe gegeben -- ja, ich denke, um das Deutsche irgendwann ganz wegzulassen [lacht].

Und ich denke im Zug waren wir natürlich die einzigen. Wir hielten zusammen, weil wir alles zusammen machten, ich ging nie alleine ohne sie in den Speisesaal. Und sie auch nicht ohne mich. Wir waren stark zusammen, zwei die nichts wussten. Aber wir wurden freundlich behandelt und man konnte sich immer genug verständlich machen, um zu vermitteln, was man tun oder sagen wollte oder was man tun sollte.  Wenn ich jetzt zurückdenke, finde ich, dass wir keine großen Schwierigkeiten hatten. Jetzt frage ich mich, wie das sein konnte; aber es war wirklich okay.

So, dann war es Zweit für die Zugfahrt und ich sah zum ersten Mal dieses weite, weite Land und die Prärien mit den Sonnenuntergängen und ich fand es nie langweilig, nicht mal für eine Minute. Alle sagten: „Oh, tagelang im Nichts zu sein ist…“ Aber ich war so voller Aufregung und sah immer etwas Interessantes oder Neues. Vielleicht ist das dieser Abenteurer in mir, wissen Sie, ich habe einfach jeden Baum, den ich sah, und jedes Getreide dort auf dem Feld wirklich geschätzt, es war einfach fantastisch, und die Art und Weise, wie diese Farmen lagen, Hektar für Hektar, es war so anders als das, was wir von Landschaften verstanden. Es war also eine große Faszination. Und dann natürlich durch die Rockies und schließlich, natürlich verlor ich zu dieser Zeit dieses andere deutsche Mädchen, sie stieg glaube ich in Edmonton aus, und so war ich dann wirklich auf mich allein gestellt. Und dann kam es mir mit einem Schlag: „Oh, mein Gott. Worauf habe ich mich eingelassen, allein in diesem großen Land?“ Aber es war schön, es war gut, ein bisschen Aufregung, ein bisschen Unsicherheit, aber immer positive Gefühle. Ich denke, die Vorfreude, dass etwas Gutes oder Aufregendes passiert, hat mögliche Ängste und Befürchtungen übertönt. Und mir ist nichts Schlimmes passiert, also war das okay.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.1.2.b

1.3 Die ersten Schritte in Kanada
1.3 Die ersten Schritte in Kanada

[S1-00:25:33] 

Anneliese: An einem bestimmten Tag, und ich erinnere mich, dass es ein Sonntag war, kamen wir in Vancouver am Bahnhof an. Und hier fand ich es einfach sehr, sehr toll. Dort begann ich mir in der letzten Zeit, in der letzten Stunde, bevor ich wusste, dass meine Reise vorbei war, Sorgen zu machen: „Oh, wohin soll ich gehen, wer wird da sein, ich kenne niemanden.“ Meine Freunde wussten nicht, dass ich an diesem Tag kommen würde. Ich kannte ihre Adresse und wäre wahrscheinlich zu ihnen gegangen, wenn niemand da gewesen wäre, um mich abzuholen.

Aber es war fantastisch. Ich stieg aus diesem Zug und jemand erkannte sofort, dass ich – ich meine, ich muss wie ein bunter Vogel herausgestochen haben, als könnten sie sehen, dass es nur ich sein konnte, ein Einzelexemplar. Und eine Dame von der Ausländerbehörde war da, um mich zu begrüßen. Sie war sehr nett. Sie kümmerte sich um mein Gepäck, sie wusste, wohin wir gehen mussten, und sie sprach nur Englisch. Aber auf eine wunderbare, wunderbare Art und Weise. Ich konnte jedes Wort verstehen. Sie lud mich in ein Restaurant direkt im Bahnhof ein. Und wir aßen zusammen zu Mittag. Und sie fing an, ein wenig zu erklären. Aber ich hatte bereits jemanden zu dem ich gehen konnte, wissen Sie. Da war diese Frau, die einen deutschen Einwanderer als Hausangestellte wollte. Und sie wurde dann sofort angerufen, ich glaube, das war das erste was diese Dame vom Amt getan hat, die Frau zu informieren, dass ich hier bin. Und sie blieb nun bei mir, bis ich von der Frau, die mich in ihren Haushalt aufnehmen würde, abgeholt wurde. Und ich hatte zwei große Koffer, es waren keine Koffer, wie nennt man die, wie Weidenkörbe, diese wirklich altmodischen Dinger, und sie waren schwer. Ich konnte eine begrenzte Anzahl von persönlichen Dingen mitnehmen. Und wir haben was dort lassen müssen, weil es nicht ins Auto passte. Aber sie holte mich ab und die Dame vom Amt verließ mich. Ich fühlte mich also wirklich gut, weil ich nicht allein gelassen wurde. Ich hatte immer dieses Gefühl, dass ich umsorgt bin. Und dann gab sie [Einwanderungsbeamtin] mir sofort die Informationen über die Y[WCA], wo sie ist und wo sie sich treffen, und ich glaube, es muss auf einem kleinen Stück Papier geschriebenen gewesen sein. Dort trafen sich alle Hausangestellten, jeden Donnerstag war der freie Tag für alle eingewanderten Hausangestellten, und dort haben wir den Nachmittag verbracht.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.1.3.a

Teil 2: Das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg
Teil 2: Das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Deutsche Frau in Kanada
2.1 Wie war es als Deutsche in Kanada?
​2.1 Wie war es als Deutsche in Kanada?

[S1-00:45:00]

Anneliese: Also war jeder Donnerstag der Tag für die Hausangestellten in der Stadt Vancouver. Und das Y war ein Gebäude in der Innenstadt, ich weiß nicht, ob es noch da ist oder nicht, ich weiß nicht, was sie damit gemacht haben. Aber das war der wichtigste Treffpunkt für uns, wir trafen uns um Englisch zu lernen; Dort gaben sie uns Englischunterricht, - Sie empfahlen uns Konversationsenglisch ... Und wir konnten mit Leuten reden die eine Art Ratgeber waren; -- Vielleicht gab es auch viele Freiwillige, die geholfen haben. Und es war immer voll dort.

Sie servierten uns Tee und Kaffee und Kekse und wir verbrachten einfach Zeit zusammen, es gab Leute mit denen wir reden konnten. Wenn wir Übersetzungen für Bewerbungen brauchten, konnten wir sie ihnen geben und nächste Woche abholen; sie übersetzten kostenlos. Sie machten uns auf andere Dienstleistungen aufmerksam. Es gab Karten darüber, wie man sich in Vancouver for Tuberkuloseewegt, wie man das Bussystem benutzt und sie fragten uns welche Schwierigkeiten wir hatten, was unser größtes Problem war. Und dann erinnere ich mich - es traf nicht auf mich zu, weil ich glücklich war, wo ich war, ich wurde nicht misshandelt  - aber es gab einige Fälle, in denen die Leute wirklich sehr unglücklich waren in ihrer Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung, sie fühlten sich nicht fair behandelt; und Geld war, ich weiß nicht. Ich denke, es gab einen Standardlohn, weil er als ausreichend empfanden wurde, aber wir haben alle ungefähr das Gleiche verdient. Und ich vergaß, wie viel es war. Und ich musste immer einen bestimmten Prozentsatz an die Regierung zurückzuzahlen. Mindestens zehn Dollar im Monat, die ich zurückzahlen musste. Ich weiß nicht, was die Gesundheitsversorgung angeht, muss ich geschützt gewesen sein, aber ich war... Beim ersten Mal wurde ich nicht krank. Aber ich bin mir sicher, dass ich versichert war.

 Also, auch an diesem Donnerstag, ich habs mittlerweile vergessen, ich glaube, der ganze Donnerstag war frei, oder erst ab Mittag, ich bin mir nicht sicher, weil ich diesen Donnerstag auch genutzt habe, um meine Freunde zu besuchen, die eine Verbindung, die ich in Vancouver hatte. Und sie halfen mir sehr. Sie hatten ein Auto, sie waren vielleicht seit einem Jahr oder etwas länger in Kanada gewesen und sie hatten einen sehr schwierigen Start gehabt. Beide arbeiteten sehr hart und lebten in sehr billigen Unterkünften und jetzt hatten sie zu dem Zeitpunkt bereits ein bisschen mehr Sicherheit angesammelt, ich würde nicht sagen, Reichtum, aber sie waren komfortabel, sie hatten ein Auto und sie fuhren mich ein wenig herum und zeigten mir die Stadt. Und das war mein Donnerstag, an dem ich wirklich... Das war gut zu wissen, dass das alles, das Y und meine Verbindung zu meinen deutschen Freunden, für mich zur Verfügung stand. Und ich weiß, wenn etwas passiert wäre, hätten sie mich irgendwie retten oder mir helfen können oder mir erklären können, wie ich aus einer schwierigen Situation rauskomme. Ich hatte also diese doppelte Sicherheit meiner Freunde und des Y. Es gab immer eine Person, die sagte „wenn Sie Probleme haben, rufen Sie uns einfach an“. Und manchmal, ich erinnere mich, gab es Leute, die wirklich unglücklich waren, und es passte einfach nicht -- wissen Sie, ihre Persönlichkeit passte nicht zu denen bei denen sie angestellt waren. Und sie würden sich ... [Unterbrechung] Und wir waren wirklich geschützt. Nun, was sonst passiert ist, dieses Jahr...

[...]

Ich fand, die anderen Frauen - glaube ich - benutzten diesen Ort sehr oft, um ihre Gefühle, ihre Ängste zu entladen, einige hatten Heimweh, einige hatten großes Heimweh und sie  bereuten diesen Schritt; sie fühlten sich einsam; sie hatten vielleicht Probleme mit Englisch und vielleicht ... Sie waren so festgefahren in ihrer deutschen Art, dass alles, was nicht in ihre deutsche Art passte, Dinge oder Wahrnehmungen, sie verärgerte, sie fühlten: „Ich wünschte, ich wäre nicht hier. Ich wünschte, es wäre hier wie in Deutschland.“ Und sie betonten, wie viel besser alles in Deutschland sei, angefangen von materiellen Dingen, die Möbel solider, Häuser besser, wissen Sie, alles, sie vergleichten alles. Und diese Leute schienen mich zu ärgern und sie ärgern mich immer noch, Leute die sagen: „Nun, Deutschland oder Deutsch ist einfach das Beste der Welt und der Rest ist es einfach nicht.“ Viele Dinge sind anders, ich stimme zu, aber ich denke, es ist alles irgendwie in einem Gleichgewicht, wissen Sie.

Dann sagten sie... Und das wäre wahrscheinlich... Man musste anfangen, anders über das Aussehen nachzudenken. Nun, hier erinnere ich mich, ich denke, jeder von uns war ein wenig verärgert, wie die Kanadier Make-up verwendeten - ROTE Lippenstifte, viel Make-up. Und es war auch der Trend dieser Zeit, jetzt ist das Make-up viel gedämpfter und passt mehr zu deinem Körper, du bringst das Natürliche zum Vorschein. Aber zu dieser Zeit war es mehr - alte Leute würden genauso schick gekleidet oder geschminkt sein wie die jüngeren. Aber wir waren es aus Deutschland gewohnt, dass man dunkle Farben trägt wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat  - sehen Sie, dass ist jetzt nicht mehr so, aber es war sicherlich stark in uns verwurzelt damals. Sie wissen schon, man trug nur Schwarz und Dunkelblau und Braun und hier war alles so anders, und Ohrringe und solche Sachen. Also machten sie ständig Bemerkungen darüber, wie anders das hier war.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.2.1.a

[S1-00:53:30]

Anneliese: Und dann... die Leute waren freundlich zu mir, aber - und ich musste dem manchmal zustimmen - man erkannte diese Höflichkeit nicht sofort.

Alexander: Wen meinen Sie?

Anneliese: Das kanadische Volk uns gegenüber und allgemein irgendjemandem, man konnte ihnen nicht ganz trauen, dachten wir. Es war eine oberflächliche Freundlichkeit. Während wir in Deutschland das Gefühl hatten, dass Sie manchmal etwas unverblümter waren, war man ehrlich. Also haben wir oft darüber diskutiert - den Unterschied in der Art und Weise, wie Menschen erscheinen oder rüberkommen oder wie sich die Kultur entwickelt hat, oder was auch immer. Ich denke, das war sehr, sehr stark im Thema, denn am Anfang dachten viele von uns, mich eingeschlossen – Heuchlerei; Sie wissen schon, Make-up, freundliches Lächeln. Nun, was du wirklich fühlst, weißt du nicht wirklich. Aber ich brauchte Jahre, um die ehrlichen Gefühle vom Anschein zu unterscheiden... Es scheint hier in diesem Land wichtiger zu sein, sich als gutaussehend zu präsentieren.... Du behältst diese Maske. Und es dauert eine Weile, bis man unter die Maske sehen darf, zu sehen was die Person wirklich fühlt; und viele von uns fühlten sich besser mit der deutschen Art - oft ein bisschen unverblümt, aber ehrlicher. 

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History CentreÜbersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.2.1.b

[S1-00:56:44]

Anneliese: Bevor ich es vergesse; Thema Sprache. Da ich natürlich länger in diesem Land blieb, fiel mir die Sprache mit der Zeit leichter, aber trotzdem hat es lange, sehr lange gedauert, bis die Veränderung kam, ich kann nicht genau sagen wann es passierte. Aber ich erinnere mich, dass die Veränderung fast von einem Tag auf den kam und ich plötzlich anfing, auf Englisch zu denken und auf Englisch zu träumen, und von da an war es ein schneller Prozess und ich sprach freier und ich weiß, dass ich ... Ich hatte die Sprache im Geist, im Körper, und in den Gedanken übernommen. Das ist natürlich keine leichte Sache, wenn man in einem Land ist, in dem man sich stark auf das konzentrieren muss was einem gesagt wird, die Räder im Hirn drehen sich ununterbrochen und man muss übersetzen, und wenn man dann antwortet, muss man wieder übersetzen. Aber wenn der Punkt kommt, an dem man nicht mehr übersetzen muss, dann ist es irgendwie viel einfacher. Und in meinem Fall war es sowieso von einem Tag auf den anderen eine wirklich abrupte Sache.

Anneliese L., Sitzung 1 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 30 Nov. 1993, University of Winnipeg Oral History CentreÜbersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.2.1.c

[S2-00:35:09]

Alexander: Waren es vor allem deutsche Frauen, die damals als Hausangestellte arbeiteten?

Anneliese: Ja, ja. Jede die ich traf und sah und jede die ins Y kam und mit der ich Kontakt aufgenommen habe, war ein deutsches Mädchen. Vielleicht gab es andere, aber ich habe sie nie getroffen.

[... ]

Alexander: Wissen Sie, warum das alles nur Deutsche waren?

Anneliese: Ja, ich denke, das war alles eine Reaktion auf den Aufruf der kanadischen Regierung an deutsche Mädchen zwischen achtzehn und fünfundvierzig Jahren. Und es gab viele Frauen in Deutschland aufgrund des Krieges. Die Männer starben während des Krieges. Viele von ihnen waren also sehr begierig und willig, wie ich es auch war, das Land zu verlassen und zu versuchen, eine neue Zukunft zu schaffen. Es war also speziell an deutsche Mädchen gerichtet und das ist alles, was ich je gesehen habe. Ich kann mich an nichts anderes erinnern.

Alexander: Sind Sie in diesen ersten drei Monaten jemals zu irgendwelchen deutschen Institutionen gegangen, zum Beispiel zu deutschen Kirchen?

Anneliese: Nein. Nein, nein, das habe ich nie getan. Außerdem weiß ich erst jetzt, dass es eine Goethe-Institution und deutsche Clubs gibt, ich habe es damals noch nicht gewusst, ich denke, vielleicht, weil meine Freunde nicht daran beteiligt waren, und sie gingen nicht, also ging ich auch nicht, diese Möglichkeiten wurden mir nicht vorgestellt. Und ich war eigentlich nicht daran interessiert, ich wollte mich so schnell wie möglich an das kanadische Leben gewöhnen und bewusst die deutsche Verbindung ein wenig hinter mir lassen. Und das war wahrscheinlich der Grund. Und das lag später auch daran, dass ich nie das Bedürfnis hatte, unter Deutschen zu sein. Ich habe mich sehr bemüht, Kontakt mit Kanadiern aufzunehmen, und dorthin zu gehen wo es Kanadier gab, wie das Y und Schwimmen [...]

Anneliese L., Sitzung 2 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dez.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.2.1.d

[S2-00:52:33]

Anneliese: Aus Interesse, sind wir zu Prinz Rupert gegangen. Nachdem wir [ihre Freundin aus Deutschland, Gertraud] eine Weile im Vancouver General gearbeitet hatten, dachten wir beide, wir würden gerne ein bisschen mehr von Kanada sehen, lernen wie es ist unter „den Indianern“ zu arbeiten, und  wir erkundigten uns und fanden das Department of Immigration, Indian Affairs. Ich glaube, es gab da eine Abteilung, sie hatten ein Büro in der Innenstadt von Vancouver, und eines Tages gingen wir dorthin und fragten, ob es die Möglichkeiten gäbe, unter den Indianern zu arbeiten, und was es so gibt, wir sagten, dass wir aus Deutschland kommen, und sie antworteten uns sofort - ich frage mich, ob es viele Möglichkeiten gab oder nicht. Sie sagten, es gäbe im Miller-Bay-Krankenhaus neun Meilen nördlich von Prince Rupert offene Stellen und wir könnten uns bewerben, falls wir es wirklich ernst meinten, und das taten wir. Wissen Sie, es wurden öfters Stellen in diesem Krankenhaus frei, aus welchem Grund auch immer blieben Arbeiter dort nur für eine kleine Weile, für Erfahrung, für Abenteuer. Niemand wollte das zu einer lebenslangen Position dort oben machen, das war einfach nicht wie das ablief dort.

Also bewarben wir uns, und das Geld war viel besser, und sie halfen uns dorthin zu gehen, sie bezahlten den Transport. Und, was habe ich nochmal gesagt, wann kamen wir dort an?

Alexander: September 1954.

Anneliese: Im September, also ein Jahr nach meiner Ankunft in Kanada. Ich kam im September 1953. So, das war der Datum. Und es war gut, es war eine gute Zeit, das war ein guter Schritt, wir haben viel gelernt. Ja, das war eine sehr interessante kanadische Erfahrung, dachte ich. Diese Einheimischen waren eine ziemliche Herausforderung. Sie kamen aus den Reservaten und waren schmutzig und vernachlässigt und sprachen nicht sehr gut Englisch, und sie mussten immer entflöht und entlaust werden und zuerst ein Bad nehmen. Und sie wurden vom Sozialdienst abgeholt, weil sie Tuberkulose hatten, und alle, bei denen Tuberkulose diagnostiziert wurde, mussten in dieses Krankenhaus kommen um behandelt zu werden und vom Rest isoliert zu werden.

Das gefiel ihnen also nicht besonders, weil sie von ihrer Umgebung und ihren Reserven weggenommen wurden, ihre Haltung uns gegenüber war nicht sehr freundlich. Sie fühlten sich dort von uns eingesperrt. Sie wurden gezwungen, sich dieser Behandlung zu unterziehen. Die Männer entkamen öfters und gingen zu Prinz Rupert um sich zu betrinken; Sie wissen schon, sie vermissten ihre alkoholischen Getränke. Und oft konnten sie nicht zurückverfolgt werden, sie gingen zurück in die Reservate und mussten wieder eingefangen werden und den ganzen Prozess von vorne beginnen- ein Bad nehmen und... Es ist lustig, wenn ich jetzt daran denke, war es wirklich erniedrigend, weil diese Leute, ich kann mir das gar nicht vorstellen... Ich denke heute nicht, dass Einheimische schmutzige Menschen sind, aber zu dieser Zeit galten sie als eine Art ... Und wir sahen sie, in diesem Zustand. Ich weiß nicht, warum das so war, denn ich habe seitdem viele Einheimische getroffen und habe nie das Gefühl, dass sie schmutzig sind. Aber zu dieser Zeit kamen sie und sie fingen an, einige von ihnen gewöhnten sich daran, denn sie mussten wegen der Behandlung von  Tuberkulose lange Zeit im Krankenhaus bleiben, sie mussten sich dieser Behandlung für eine ziemlich lange Zeit unterziehen [in den 1950er Jahren ca. 18 Monate]. Also hatte man Aktivitäten für sie; Kinder hatten Schule und die Erwachsenen haben sich sehr daran gewöhnt, dass wir ihre Betten machten und sie alles bekamen, was sie brauchten, wie saubere Kleidung und sie wurden ermutigt, ihre Handarbeiten zu machen. Und die Frauen, ich weiß nicht, warum mich das verärgert hat, aber die jüngeren Mädchen, sie haben Make-up-Sets bekommen. Entweder sie kauften sie es selbst oder bekamen es geschenkt. Sie trugen die meiste Zeit Make-up, vielleicht war das etwas Neues für sie, vielleicht taten sie das nicht auf der Reserve, sie trugen immer diese Lippenstifte und die meiste Zeit verbrachten sie damit, sich um ihre Gesichter zu kümmern. -- Ja, das taten sie.

Und die Leute dort, ich traf viele andere deutsche Mädchen, Ärzte, Physiotherapeuten, Lehrer – nein nicht die Lehrer, diese Lehrer waren schon lange, lange Zeit da, sie waren tatsächlich über das Rentenalter hinaus, und sie schienen diese Art von Job zu mögen, vielleicht war es dort nicht so stressig wie im Schulsystem. Wissen Sie, sie waren selbstständig und konnten tun, was sie wollten - aber die Ärzte und die anderen, wir blieben alle dort, wir hatten alle unser Quartier dort, alle lebten miteinander, niemand kam aus diesem Gelände heraus, würde ich fast sagen. Wir lebten in Baracken. Und sie waren interessante Menschen.  Ich erinnere mich an einen russische Arzt, und andere Europäer, die nur darauf warteten, ihre Lizenz in Kanada zu bekommen, um Medizin praktizieren yu können. Und einige Krankenschwestern, die schon die halbe Welt gesehen hatten und aus Australien kamen und nur dort waren, weil sie den kanadischen Norden und die Indianer mal erleben wollten. Und es war ordentlich. Viel Input von allen möglichen Leuten. Und wir kamen gut miteinander aus, es gab keine größeren – zumindest nichts woran ich mich erinnern kann, Streitereien. Es gab Leute, die wir nicht mochten. Aber abgesehen davon waren unsere menschlichen Beziehungen wirklich ganz gut.

Alexander: Warum war es so attraktiv, mit Einheimischen zu arbeiten?

Anneliese: Was machte es attraktiv? Neugier. Wenn mich später Freunde aus Deutschland besuchten, fragten sie immer: „Nun, wo sind die Indianer?“  Ich hatte irgendwie, nicht -- ein seltsamer... In meiner Jugend las ich Karl May und sah die Indianer als die Tapferen Menschen mit ihrer, für uns fremden Kultur, mit ihrer bestimmten Lebensweise, und ich wollte einfach selbst sehen, wie sie sind. Und, ich weiß nicht, wie gesagt, ich finde, dass sie so vernachlässigt waren oder so schmutzig waren und immer unter so schlechten Bedingungen leben mussten, wenn sie hereinkamen, wussten wir ihre Geschichte, wussten dass sie in einem Reservat lebten, und das war nicht wie ich mir die Indianer vorgestellt hatte. 

Ich hatte sie mir so vorgestellt, wie ich es in Karl May gelesen habe, in Zelten und eigentlich ziemlich sauber und mutig und gesund und so. Aber sehen Sie, ich denke, es ist was der weiße Mann ihnen angetan hat, der Schaden war bereits angerichtet. Ihnen wurde Alkohol gegeben, den hatten sie vorher nicht; sie kamen in Kontakt mit  Tuberkulose, den hatten sie vorher auch nie; sie hatten Masern, und Krankheiten, an denen sie starben, während es keine ... Also, ich denke... ihre Lebensweise wurde durch den Einfluss des weißen Mannes zerstört, und sie wussten das tief im Inneren, und deshalb nahmen sie es uns übel. Auch als wir sie persönlich kennenlernten, waren sie freundlich zu uns, aber darunter war hauttief diese weiße Überlegenheit, die sie verabscheuten. Und das war sehr offensichtlich und manchmal konnte das aufflammen. Also ging es mir nur darum, die Wahrheit zu erfahren oder einfach nur die Einheimischen kennenzulernen, deshalb ging ich dorthin. Und ich habe viel gelernt.

Alexander: Können Sie Ihren Alltag bei der Arbeit im VGH [Vancouver General Hospital] und auch in diesem Krankenhaus beschreiben?

[...]

Anneliese: Also, Schicht war gleich und die Aufgaben waren auch gleich. Die Krankenschwestern gaben die Medikamente und die Behandlung und wir halfen den Patienten sich zu baden und machten ihre Betten, und ich denke, es war wirklich, wirklich lustig, weil wir uns eigentlich isolieren sollten um uns vor  Tuberkulose zu schützen, wir sollten nicht unter ihnen sein, damit es sich nicht verbreitet, also mussten wir kleine Papiermasken tragen, und ich erfuhr später, dass diese Masken für vielleicht zwei oder drei Stunden gut sind, aber wir trugen sie die ganze Schicht. Wir haben nur eine Maske bekommen. Und dann hatten sie kleine Besen, und wenn ich daran denke, wie ignorant das war - um ihre Betten zu machen, mussten wir diese Bürsten oder Besen benutzen, um die Krümel zu kehren, und die Keime sind alle glücklich in der Luft rumgeflogen. Ich habe noch nie in einem Krankenhaus die Betten auf eine solche Art und Weise gemacht. Aber sie hatten alle Arten von – wegen ihrer Handarbeit oder einfach nur vom Essen war das Bett voller Krümel und wir hatten diese Bürsten, um erst zu bürsten und die Laken zu glätten und ihr Bett zu machen. Danach, nun, sie hatten nur Ruhezeit, sie hatten viel Ruhezeit, und wir mussten etwas tun - wir mussten keine Krankenblätter schreiben - die Krankenschwestern taten das, aber wir mussten Bericht abgeben, es gab Diskussionen über Patienten, was wir an ihnen beobachteten, ob sie spazieren gingen oder irgendetwas anderes machten, aber daran beteiligte ich mich nicht. Also, es ging mehr oder weniger darum da zu sein wenn jemand Hilfe brauchte. Einige waren natürlich ziemlich krank, hatten Fieber und so und man musste man sich ein wenig mehr um sie kümmern, und mit den Essenstabletts helfen, die Mahlzeiten ausgeben.

[...]

Die einzige Spannung war, wenn jemand entkam und sich in Prince Rupert betrunken hatte oder tot betrunken auf der Straße aufgefunden wurde oder wenn ein neuer Patient kam. Selten würden sie nach Hause gehen, aber irgendwann müssen sie es getan haben, ja, nach einer gewissen Zeit wurden sie wieder in die Reserve entlassen, und oft kamen sie sogar während dieser Zeit, als ich dort war, nach zwei oder drei Monaten zurück, weil es wieder entflammt war. Wissen Sie, das Krankenhaus steht nicht mehr und ich denke,  Tuberkulose ist kein großes Problem mehr. Sie fanden bessere Medikamente und eine bessere Art, es zu behandeln. Aber zu dieser Zeit, sobald sie wieder in ihre Umgebung kamen, infizierten sie sich oft erneut, wissen Sie, oder das Virus wurde wieder aktiv und sie mussten zurückkommen. Wir hatten also ziemlich oft Rückfalltäter [lacht].

Und die Kinder waren ein großes Anliegen. Wenn man auf der Kinderstation war, war man immer beschäftigt – man spielte mit ihnen, man musste sie umziehen. Und ich habe mit Kindern gearbeitet und dort habe ich dann die infektiöse Hepatitis bekommen.

Annaliese L., Sitzung 2 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dez.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.2.1.e

[S2–01:44:03]

Anneliese: Deutsche sein, ja. Ich hatte oft das Gefühl, dass viele Kanadier - ich dachte, ich nahm das wahr, nach dem Krieg mochten sie die Deutschen nicht wirklich, als Volk, als Land, wegen der... und das haben sie uns zu spüren gegeben, dachte ich. Aber nach meiner persönlichen Erfahrung war das nicht wirklich wahr. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand jemals etwas Negatives zu mir gesagt hat, weil ich Deutsche bin. Aber ich habe im Fernsehen gesehen oder manchmal Leute reden gehört: „Oh, diese Deutschen, sie haben den Krieg verursacht.“ Und ich fühlte mich fast schuldig, dass ich Deutsche bin. Aber dann arbeitete ich für eine Jüdin in einem Haushalt. Und sie hatte nichts dagegen, dass ich Deutsche war oder so, und ich hatte nichts dagegen, dass sie Jüdin war [lacht]. Wir haben uns wirklich gut verstanden. Es war ein Prozess. Das Problem lag mehr an mir, ich war mir zu bewusst, dass ich Deutsche bin, und Teil eines Landes, das so viel Ärger verursachte - für... Und sie sprachen nicht freundlich über Deutsche als Menschen. Aber ich persönlich konnte nicht sagen, dass mich irgendjemand anders behandelt hat. Aber ich selbst war mir dessen immer bewusst und wollte einen guten Eindruck als gute Deutsche hinterlassen.

Alexander: Was war ein guter Deutscher?

Anneliese: Nicht, wie...  Nun, sehen Sie, die Leute werden abgestempelt. Die Italiener sind lebhaft, und die Deutschen sind fleiβig und die Russen sind, was immer sie sind. Menschen werden zu Unrecht in Gruppen eingestuft.

Alexander: Stereotypisiert?

Anneliese: Genau, genau, stereotypisiert. Und vielleicht gibt es gute klischees über die Deutschen, aber es gibt ... Der negative Teil ist vielleicht, dass wir streitsüchtig sind, wir denken, wir wissen alles besser, wir sind laut, wir sind ... Und ich wollte nicht so rüberkommen. Ich wollte der gute Deutsche sein, indem  ich fleiβig und freundlich und hilfsbereit war,  und das war vielleicht auch Teil meiner persönlichen... Das sind meine persönlichen Ziele im Leben. Ein guter Mensch zu sein, abgesehen davon, Deutsche zu sein. Aber ich wollte mich wirklich bemühen, die unangenemehmen Klischees der Deutschen nicht zu zeigen. Funktioniert nicht immer. Aber so fühlte ich mich, ich musste mein Land vertreten. Ja, vielleicht ist das ein guter Weg, ich fühlte, dass ich das deutsche Volk vertrete, und solange ich es kontrollieren kann, darf ich nichts tun, das den Eindruck erweckt: „Oh, sie ist Deutsche, deshalb hat sie dies oder jenes gemacht.“

Alexander: War es wichtig, sich zu assimilieren?

Anneliese: Ja, ja, ja. Das war wirklich... Ich wollte... Ja, ja, für mich war es das. Ich weiß nicht, ob alle so empfanden, aber ich wollte Teil Kanadas sein, ich interessierte mich für Politik, als ich das Wahlrecht hatte, verpasste ich nie eine Wahl, ich war sehr... Harvey war auch so. Wenn wir jemals zusammen irgendwohin gingen, war das zu einem politischen Treffen. Wir haben anders abgestimmt. Aber ich fühlte sehr stark was dieses Thema anging. Und ich fühlte, dass es wichtig war ... Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich es vermieden habe, bei deutschen Gruppen zu bleiben, ich wollte mich assimilieren; Kanadierin sein, und keine Deutsche mehr. So fühle ich mich; wenn ich über meine Heimat spreche, dann ist das Kanada. Ich liebe es hier, ich bin gerne hier und Deutschland ist kein Ort, an den ich zurückkehren möchte. Außerdem erinnere ich mich an viele, nicht viele, aber einige Freunde, die nie das Gefühl hatten, hier zu Hause zu sein. Und ich weiß, dass zwei nach Deutschland zurückgekehrt sind, sie konnten es einfach nicht schaffen, es war einfach zu schwierig für sie, sich anzupassen.

Anneliese L., Sitzung 2 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dez.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.2.1.f

2.2 Wie war es als eine Frau in Kanada?
2.2 Wie war es als eine Frau in Kanada?

[S2-01:49:19]

Alexander: Was für eine Rolle hat es in den ersten Jahren gespielt, dass sie eine Frau sind, wie hat das beeinflusst, wie Sie behandelt wurden und wie Sie sich verhalten haben... Wenn überhaupt?

Anneliese: Ja, das weiß ich nicht. Ob das wichtig war oder nicht. Ich kannte nicht allzu viele... Ja,  ich kannte einige Männer, wie die Brüder meines Freundes, die vorbeikamen. Ob das war... Nein, weiblich oder männlich, ich habe nicht darüber nachgedacht, wie es gewesen wäre wenn ich ein Mann wäre, oder wie ich mich als Mann verhalten würde. Ich dachte - das bin ich und das ist was ich mache und es war mir von einem breiten Standpunkt aus nicht so wichtig – ob es eine weibliche Aktion ist oder… Nein, das war nicht wichtig, das war kein Thema, ob ich männlich oder weiblich bin. Nein, nein.

Sehen Sie, in meinem Beruf der Krankenpflege, ist man die ganze Zeit von Frauen umgeben, es gab wirklich eine weibliche Dominanz, wie Krankenschwestern, natürlich gibt es männliche Krankenschwestern, aber man kann sie an zwei Händen abzählen, also war ich immer von Frauen umgeben. Und wenn wir zusammen was machten, oder jemand ging oder so, waren es immer nur Mädchen. Also, ich weiß nicht, wie die andere Seite aussah. Also, und das war vielleicht nicht fair gegenüber meinem Sohn - der Vater war nie da oder es gab keine enge Beziehung zwischen den beiden, und er musste sich mit drei Schwestern und einer Mutter herumschlagen, aber er hat das gut überstanden. Ha, denke ich. Ja, aber er hatte nie, vielleicht liegt das an mir, dass er nie eine Freundin hier hatte und die Frau, die er vor weniger als einem Jahr geheiratet hat, ist Chinesin aus Taiwan und er fühlte sich ihrer Kultur, an ihrer Art von Kultur und einer weiblichen Einstellung viel näher. Vielleicht lag das daran, dass er zu Hause kein gutes Vorbild hatte. Ich weiß es nicht.

Anneliese L., Sitzung 2 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dez.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

L.2.2.a

Teil 3: Die Geschlechterdynamik in Ehe und Familie
Teil 3: Die Geschlechterdynamik in Ehe und Familie
3.1 Die Familiendynamik
3.1 Die Familiendynamik: Eltern, Geschwister und Großfamilie

Weitere Familienbeziehungen wurden nicht erwähnt, und ihre ganze unmittelbare Familie starb vor ihrer Auswanderung nach Kanada.

An.3.1.a

3.2 Die Ehedynamik und Familienstruktur
3.2 Die Ehedynamik und Familienstruktur: Ehemann, Kinder, Schwiegereltern

[S2-01:18:00]

Alexander: Vielleicht können Sie mir erzählen, wie Sie Ihren Mann kennengelernt haben.

Anneliese: Ich weiß nicht, ob ich darauf eingehen will. -- Ist das eine persönliche Geschichte, die Sie wissen müssen?  Nun, das ist wirklich, er will nicht einmal wirklich zugeben, dass es so passiert ist, also hat er es unseren Kindern nie erzählt, aber ich habe es getan. Ich erzählte ihnen, wie ich ihn kennengelernt hatte. Das war nur eine Idee, die wir hatten und es hat viel Spaß gemacht, wie gesagt, wir haben uns einen Haufen Briefe geschickt. Und dann erschien er in Prince Rupert und wir trafen uns dort. Und ich dachte, er sei ein netter Kerl und ich...—Sie fragen mich um sehr persönliche Gefühle. Es ging nicht darum, sich in jemanden zu verlieben, es war eine Art Vernunftehe. Und ich dachte... Nun, Bequemlichkeit ist nicht das richtige Wort, ich brauchte keine Bequemlichkeit. Ich dachte nur... - ich dachte, eine Ehe wäre etwas, in dem man sich nicht verlieben müsste. Wenn es zwei vernünftige Menschen gibt, gäbe es eine vertrauensvolle Beziehung und du könntest von dort aus was aufbauen und es würde sich in – das war meine Idee – sich in Liebe verwandeln, im Sinne von, naja, Vertrauen und einen Partner zu haben und Dinge im Leben zu teilen. So habe ich es gesehen.

Also habe ich... Ich traf ihn hier und wir schrieben in... er kam mich besuchen hier, ich meine in Prinz Rupert und wir schrieben hin und her...

[...]

Nachdem wir uns kennengelernt hatten und dachten, dass wir uns sozusagen gegenseitig gut heißen, hatten wir irgendwie Spaß zusammen, und er war ein Junggeselle und er war sechsunddreißig und ich war neunundzwanzig. Wir dachten:„Nun, vielleicht wird es funktionieren.“ Und er hatte dieses Haus hier und er suchte jemanden, er wollte nicht allein in einem Haus leben; Also beschlossen wir: „Nun, lass uns heiraten.“ Und das haben wir getan. Und ich kündigte meinen Job und dann - wie ich Ihnen bereits sagte - wurde ich krank und hatte diese Gelbsucht und wir mussten es für weitere sechs oder so Wochen verschieben. Und dann kam ich hierher nach New Westminster und wir heirateten sehr klein und ich gewöhnte mich an das Eheleben in Kanada.

Und mein Mann hatte keinen „Nine-to-Five-Job“, er arbeitete in den Fluggesellschaften und  er war viel weg, und so war ich viel allein. Innerhalb des ersten Jahres – ich heiratete im Mai, und im darauffolgenden März wurde Shirley geboren, meine älteste. Und dann hat mich das beschäftigt und ich war nicht mehr allein. Er war ein echter, wie man es in Deutschland sagt; ein eingeborener Junggeselle, er war an seinen sehr unabhängigen Geist gewöhnt; Ehe war für ihn, ich denke... Er hat immer noch sein eigenes Ding gemacht, er war viel zu lange allein und wenn ich zurückdenke, ich glaube, ich brauchte auch Zeit für mich. Ich war genauso  „schlecht“  oder „gut“ im Wollen... Ich glaube nicht, dass ich eine Person mit sehr... Ich mag Menschen, aber es ist mehr, - ich glaube nicht, dass ich sehr gut in intimen Beziehungen bin. Für mich war es also eine passende Abmachung, weil er das nicht von mir verlangte. Aber später im Leben, als ich lernte und älter wurde, bemerkte ich, dass viel fehlte, weil wir nichts miteinander teilen konnten. Am Anfang hatte er - aus zwei Gründen, denke ich: Der erste Grund – all die Macht in der Beziehung, weil er es gewohnt war, zu tun, was er wollte, und ich war froh, dass jemand das Denken für mich erledigte, mein Englisch war immer noch nicht so gut, und ich hatte bald dieses Kind, und als ich schwanger war, war ich sehr krank,  mir war übel und ich hatte alle möglichen Probleme, also war ich froh, dass ich nicht darüber nachdenken musste, wie ich das Geld ausgeben und eine Entscheidung treffen sollte, es war immer seine Verantwortung. Und als ich später dachte: „Oh, so läuft das nicht, ich habe auch eine Meinung“, kam das nicht gut an. Dann war er es schon irgendwie gewohnt, dass ich machte was er sagte... Er traf alle Entscheidungen und ich machte einfach mit. Also, als ich endlich davon aufwachte [lacht], meine eigene Meinung hatte und meine eigenen Entscheidungen traf, war es ein bisschen schwierig, wissen Sie.

Alexander: Wie viele Jahre haben Sie dafür gebraucht?

Anneliese: Oh, nun, sehen Sie, ich habe Jahre gebraucht, Sie haben recht, es waren mehr als ein oder zwei Jahre, denn es kam ein Kind nach dem anderen, jedes Jahr eines, und ich konnte an nichts anderes denken, nichts Persönliches, nichts was ich vom Leben will. Mein Leben war jetzt - kümmere dich um diese Kinder. Und mit diesen kleinen war es ein Vierundzwanzig-Stunden-Job und das war nicht einmal genug Stunden am Tag. Ich war einfach sehr beschäftigt, und ich war auch immer noch dankbar, dass er sich um alles gekümmert hat. Als sie aufwuchsen und in den Kindergarten und zur Schule gingen, dachte ich: „Zum Teufel damit!“ Und ich fing an, zur Arbeit zu gehen und ich gab ihm immer meinen vollen Gehaltsscheck, damit er ein Auge darauf hatte. Und plötzlich dachte ich... Und er hatte diese Idee, all das Geld zu investieren oder wegzulegen, und ich hatte überhaupt keine Entscheidungsrechte. Und der Tag kam, an dem ich sagte: „Nein, wir sollten getrennte Konten haben und es ist mein Geld und ich verdiene es.“ Und das kam nicht sehr gut an. Natürlich, wenn man sich auf eine Art und Weise gewöhnt, wissen Sie... Aber dann haben wir uns irgendwann verstanden. Es gab andere Dinge, er trank gerne ein bisschen, und jetzt ist er natürlich, wie ich Ihnen sagte, ... er hat Demenz und es ist traurig und es ist schlimm und es ist schwierig.

Aber am Anfang... Sehen Sie, ich glaube nicht dass es im Leben ein Richtig oder Falsch gibt, Sie treffen Ihre Entscheidung so gut Sie können zu dem dann gegebenen Zeitpunkt. Und ich hoffte, dass seine Entscheidungen richtig waren. Und er hat eine Menge Dinge für uns getan, auf seine Weise wirklich alles getan... und er liebte seine Kinder... Er arbeitete hart um uns ein gutes Leben zu ermöglichen, damit es uns gut geht. Aber es war immer so, wie er es wollte, er fragte uns nie: „Nun, wie denkt ihr darüber?“  und „Willst du das?“ Und ich dachte, das liegt vielleicht an seinem Hintergrund. Vielleicht war das auch eine Einstellung, die Männer früher hatten, wissen Sie? Die meisten Männer die ich in dieser Altersgruppe treffe sind sich alle mehr oder weniger ähnlich. Die Frau sitzt zu Hause und hat bestimmte Pflichten - kümmert sich um den Mann und putzt das Haus, und der Mann trifft die finanzielle Entscheidung. Als ich diese Freiheit mit diesem Geld, mit meinem eigenen Gehaltsscheck bekam, war es hart, und es schuf wirklich ernsthafte Probleme, und es geht immer noch nach hinten los. Aber es war eine gute Entscheidung für mich und es hat geklappt und ich mache die Dinge jetzt mit meinem Geld, MEIN Geld und sein Geld sind zwei verschiedene Dinge. Ich mach was ich will. Ich gehe auf Reisen, so war’s das. Das war unsere Beziehung, ja.

Anneliese L., Sitzung 2 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dez.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.3.2.a

[S2-01:33:03]

Annaliese:  Harvey war viel unterwegs, wissen Sie, seine Reisen. Also kam er abends nicht und ich kümmerte mich immer um die Kinder. Und wenn er hier war,  war er oft sehr müde. Sie wissen schon, er hatte einen langen Tag und dann wollte er schlafen und dann... Und er war nicht gesprächig und er sagte nicht viel.  Wie auch immer, also waren die Kinder mein einziger sozialer Kontakt und ich brauchte irgendwo einen Anschluss an Erwachsene. Das war es also. Und deshalb bin ich auch gerne bald wieder zur Arbeit gegangen, weil... Ich arrangierte einen Babysitter und ging danach Vollzeit arbeiten, nachdem Irene, die jüngste, zwei Jahre alt war.

Alexander: War die Ehe eher eine scharfe Veränderung, eine radikale Veränderung oder war es eher eine allmähliche Veränderung in Ihrem Leben?

Anneliese: Ehe?  Ja, ich habe mich ziemlich gut daran gewöhnt, dachte ich. Es war keine drastische... Es war mehr oder eniger das, was ich mir vorgestellt hatte, außer dass ich vielleicht eine persönlichere Beziehung erwartete, ein bisschen mehr Kommunikation. Er war nie daran interessiert, was ich fühlte oder so: „Ich will nichts davon wissen.“  Und er sagte nichts über seine eigenen Gefühle, erzählte nie von der Arbeit oder was los war wenn er nach Hause kam.

Anneliese L., Sitzung 2 von 2. Oral history interview von Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dez.1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.3.2.b

[S2-01:36:22]

Alexander: Hat die Ehe verändert, wie Sie sich selbst empfunden haben?

Annaliese: Ja, es war ein wirklich langer Prozess. Ich habe viel Frustration durchgemacht. Ich fand es schwer damit umzugehen. Und es gab Zeitpunkte, an denen ich Eheberater aufsuchte. Und war bereit, mich tatsächlich scheiden zu lassen.  „Das ist nicht der richtige Weg...“ Und dann konnte ich es nicht.  Und tatsächlich, ich war erstaunt, die Eheberater unterstützten mich sehr, zu einem sagte ich sogar: „Wie kommt es, dass du - mein Mann würde dir eine ganz andere Geschichte erzählen - wie kommt es, dass du glaubst, was ich sage?“  Nun, er lächelte nur und sagte: „Ich weiß, dass du die Wahrheit sagst.“ Und sie würden... man muss immer die eigene Entscheidung treffen. Niemand kann eine Entscheidung für dich treffen und dafür sind sie nicht da. Sie helfen uns nur, die positiven Aspekte zu sehen und sie sagen uns welche Optionen wir haben. Und er sagte irgendwie: „Nun, du hast die Option da rauszukommen, es wird nie wirklich so funktionieren, wie du es dir vorstellst, ich meine, es sollte funktionieren und vielleicht, ist dies die Zeit um sich zu entscheiden.“ Und ich kam nach Hause und weinte und dachte darüber nach, und dann traf ich die Entscheidung durchzuhalten. Ich konnte nicht sehen ob diese Entscheidung richtig oder falsch war, ich denke, der Hauptgrund war, dass ich körperlich nicht stark genug war, um gegen ihn zu kämpfen. Weil ich weiß, dass es ein Kampf wäre, ein geteiltes Haus. Und die Details würden glitschig werden. Wer bekommt das Auto und so, und das würde er nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und ich, wo sollte ich mit vier Kindern hingehen, wissen Sie, und er würde keinen Deal machen, als könnte ich mit den vier Kindern im Haus bleiben und er würde einfach gehen. Und ich dachte, oh mein Gott, dem kann ich mich nicht stellen. Ich kann das einfach nicht. Ich bin nicht stark genug. Und ich wusste, dass es ein richtiger Kampf werden würde und ich war dem nicht gewachsen. Ich hatte genug zu kämpfen.

Und so kam es immer irgendwie in Wellen. Und dann gab es wieder eine Zeit der Toleranz; Wir lebten einfach Seite an Seite und alles lief irgendwie glatt, wissen Sie, tägliche Routine. Bus dann wieder etwas passierte, denn da waren all diese ungelösten Probleme in ihm und in mir und manchmal, wenn eine Kleinigkeit auftauchte, gingen wir einfach aufeinander los. Und dann gab es immer die Zeiten, wo ich dachte: „Ich kann das keine Minute mehr ausstehen, ich muss gehen.“ Aber dann beruhigte die Situation sich und mit seinem Charakter, ich denke, das ist fast teilweise seine Krankheit, wie seine Mutter sagte, er hätte behandelt werden sollen, als er ein Kind war, es ist Teil seines Charakters. Er würde... Du könntest dich niemals  hinsetzen und sagen: „Lass uns darüber reden, was falsch ist und wie wir das klären können.“ Er würde nicht... Wenn du am nächsten Morgen nach einem Streit das Thema wieder anschneidest, würde er so tun, als wäre nichts passiert. Und ich bin eher so; okay, lass uns reden und klären was los ist und wie wir das wieder geraderücken können. Er würde sagen: „Bring das nicht immer wieder zur Sprache“ und er würde schweigen. „Du lässt nie los, oder?“ Nun, das Thema war noch nicht geklärt in meinem Kopf. Und so musste ich es akzeptieren. Er vergaß es bereitwillig oder was auch immer, bis es wieder auftauchte. So, so ist es.

Anneliese L., Session 2 of 2. Oral history interview by Alexander Freund, Surrey, B.C., 6 Dec. 1993, University of Winnipeg Oral History Centre. Übersetzt aus dem Englischen von Amine Gundogdu.

An.3.2.c

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